Tödliche Absicht
einzig mögliche Erklärung.«
Dann klingelte ihr Telefon. Sie entschuldigte sich höflich und nahm den Hörer ab. Reacher und Neagley gingen durch das Korridorlabyrinth zu Froelichs Büro. Es war dunkel und leer. Neagley schaltete die Halogenstrahler ein und setzte sich an den Schreibtisch. Da es keinen zweiten Stuhl gab, ließ Reacher sich auf dem Teppichboden nieder, streckte die Beine aus und lehnte sich mit dem Rücken an einen Aktenschrank.
»Erzähl mir von den Raumpflegern«, forderte er sie auf.
Neagley trommelte mit den Fingern einen Rhythmus auf der Schreibtischplatte.
»Sie werden juristisch beraten«, sagte sie. »Das Department hat ihnen Anwälte geschickt – für jeden einen. Und sie sind über ihre Rechte belehrt. Toll, nicht? Die Welt der Zivilisten?«
»Klasse. Was haben sie gesagt?«
»Nicht viel. Sie haben eisern geschwiegen. Verdammt stur. Aber sie machen sich Sorgen, haben einerseits große Angst davor, ihren Auftraggeber zu verraten, und fürchten andererseits, ihre Jobs zu verlieren und vielleicht eingesperrt zu werden. Sie befinden sich in der Zwickmühle und könnten einem fast Leid tun.«
»Hast du Stuyvesant erwähnt?«
»Ja. Sie kennen ihn offenbar dem Namen nach, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie wissen, wer er ist. Sie sind Nachtarbeiter, sehen nur leere Büros und treffen keine Leute. Sie haben nicht im Geringsten auf die Erwähnung seines Namens oder auf sonst was reagiert. Haben nur verängstigt dagesessen und ihre Anwälte angestarrt.«
»Du lässt nach. Wenn ich mich recht erinnere, hätten solche Leute dir früher aus der Hand gefressen.«
Sie nickte. »Ich werde eben alt. Ich konnte einfach keinen Anhaltspunkt finden. Allerdings haben ihre Anwälte mich abgeblockt. Die Ziviljustiz kann ganz schön verwirrend sein. Ich bin mir noch nie so ausgebremst vorgekommen.«
Reacher schwieg. Sah auf seine Uhr.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Neagley.
»Wir warten«, sagte er.
Die Zeit verstrich langsam. Nach eineinhalb Stunden kam Froelich zurück und berichtete, Armstrong sitze wieder sicher in seinem Büro. Sie hatte ihn dazu überredet, sich von ihr chauffieren zu lassen, weil ihr Team noch etwas operative Feinabstimmung benötige. Sie hatte ihr Anliegen so dringend dargestellt, dass Armstrong bereitwillig zu ihr in den Suburban gestiegen war. Der Transfer durch den Zelttunnel ins Bürogebäude des Senats hatte reibungslos geklappt.
»Telefonieren Sie ein bisschen herum«, forderte Reacher sie auf. »Finden Sie heraus, ob irgendwas passiert ist, über das wir Bescheid wissen sollten.«
Als Erstes fragte sie bei der Metro Police nach. In Washington waren an diesem Tag die in einer Großstadt üblichen Verbrechen und Straftaten verübt worden, aber man hätte viel Fantasie gebraucht, um eines dieser Vergehen mit Armstrong in Zusammenhang zu bringen. Sie telefonierte mit dem Revier, auf das der verrückte Stadtstreicher gebracht worden war. Als das Gespräch beendet war, legte sie den Hörer auf und schüttelte den Kopf.
»Keine Verbindung«, sagte sie. »Er ist dort bekannt. IQ unter achtzig, Trinker, schläft unter Brücken. Kann kaum lesen und schreiben, und seine Fingerabdrücke passen nicht. Er hat ein ellenlanges Vorstrafenregister, weil er jeden angreift, den er in den Zeitungen gesehen hat, unter denen er schläft. Ich glaube, den können wir vergessen.«
»Okay«, sagte Reacher.
Als Nächstes klickte sie die Datenbank des National Crime Information Center an und sah sich die letzten Eintragungen an. Aus allen fünfzig Bundesstaaten gingen laufend neue Meldungen ein – mehr als eine pro Sekunde, schneller, als Froelich sie lesen konnte.
»Aussichtslos«, sagte sie. »Wir müssen bis Mitternacht warten.«
»Oder bis eins«, sagte Neagley. »Es könnte in Bismarck passieren. Vielleicht schießt jemand auf sein Haus oder wirft einen Stein durchs Fenster.«
Also rief Froelich die Cops in Bismarck an und bat um sofortige Benachrichtigung, falls sich irgendetwas ereignete, das auch nur entfernt mit Armstrong zusammenhängen konnte. Dann telefonierte sie wegen der gleichen Sache mit der North Dakota State Police und dem FBI, das landesweit Meldungen sammelte.
»Vielleicht geschieht doch nichts«, sagte sie.
Wünsch dir das lieber nicht, dachte Reacher.
Etwa ab neunzehn Uhr begann es in dem Bürokomplex ruhiger zu werden. Die meisten auf den Korridoren anzutreffenden Leute waren auf dem Nachhauseweg.
»Haben Sie Ihre Hotelzimmer geräumt?«, fragte
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