Tödliche Absicht
einen mit der rechten Hand schießen, während man zum anderen mit dem Daumen der linken Hand lose Patronen ins Magazin drückte. Langsamer als im Idealfall, aber viel besser, als den Abzug zu betätigen und nichts als ein mattes Klicken zu hören.
Er schloss die Küchenschubladen und ging wieder ins Wohnzimmer. Dort fand er außer einem ausgehöhlten, aber leeren Buch in einem der Regale nichts. Er schaltete den Fernseher ein und stellte fest, dass er funktionierte. Er erinnerte sich an einen Fall, in dem ein Mann seinen ausgeweideten Fernseher als Versteck benutzt hatte. Seine Wohnung war acht Mal ergebnislos durchsucht worden, bevor jemand auf die Idee kam, alle Geräte auf ihre Funktionstüchtigkeit zu überprüfen.
In der Diele konnte er nichts entdecken. Unter den Schubladen der kleinen Kommode war nichts festgeklebt. Bad und Toiletten gaben ebenfalls nichts her. Der einzige Fund, den er in den Schlafzimmern machte, war ein Schuhkarton unter Froelichs Bett, voll mit Briefen, in Joes Handschrift. Reacher schob ihn zurück, ohne die Briefe zu lesen. Ging nach unten und trug seinen Müllsack nach oben ins Gästezimmer. Beschloss, eine Stunde zu warten und dann allein zu essen, wenn sie bis dahin nicht auftauchte. Er würde sich wieder die süßsaure Suppe und General Tso’s Chicken kommen lassen. Er stellte sein Waschzeug auf die Ablage vor dem Spiegel. Hängte die in Atlantic City erworbenen Klamotten in den Kleiderschrank zu den Anzügen, die Joe hinterlassen hatte. Er betrachtete sie eine Weile und nahm dann den nächstbesten Anzug aus dem Schrank.
Die brüchig gewordene Plastikfolie zerriss, als er sie abstreifte. Auf dem Etikett im Jackett stand in Zierschrift ein aus nur einem Wort bestehender italienischer Firmenname. Keine Marke, die er kannte. Der Stoff, anthrazitgrau und leicht changierend, schien aus feiner Schurwolle zu sein. Das Futter bestand aus Kunstseide, die wie dunkelrote Seide aussah. Vielleicht war es sogar Seide. Jedenfalls war eine Fabrikmarke eingewebt. Das Jackett hatte keinen Rückenschlitz. Er ließ es aufs Bett fallen und legte die Anzughose daneben. Sie war sehr schlicht, hatte keine Bundfalten und keine Aufschläge.
Er trat wieder an den Kleiderschrank und nahm ein Oberhemd heraus, reinweiß und aus Baumwolle. Streifte die Plastikhülle ab. Die Kragenenden ließen sich nicht festknöpfen. Auf dem hinten im Kragen eingenähten Etikett standen in alter englischer Schrift zwei schwer zu entziffernde Namen: Somebody & Somebody. Ein exklusiver Londoner Hemdenschneider oder irgendeine Hinterhofklitsche, die solche Etiketten fälschte.
Reacher zog sich aus, ging ins Bad und trat in die Duschkabine. Dort fand er Seife und Shampoo. Die Seife war steinhart, die Shampooflasche von altem Schaum verklebt. Froelich hatte offenbar nicht oft Gäste. Er weichte den eingetrockneten Schaum unter dem heißen Wasser auf und wusch sich damit die Haare. Dann griff er sich seinen Rasierapparat und rasierte sich sorgfältig. In einem Wandschrank fand er einen Stapel flauschiger Badetücher. Sie waren so neu, dass man sich damit gar nicht richtig abtrocknen konnte. Er tat sein Bestes, wickelte sich ein Badetuch um die Hüften und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar.
Er ging ins Gästezimmer und streifte sich nach kurzem Zögern Joes Hemd über. Öffnete die Schranktür und begutachtete den Sitz im Spiegel. Das Hemd passte perfekt. Hätte für ihn maßgeschneidert sein können. Er knöpfte die Manschetten zu. Auch die Ärmellänge war genau richtig. Er betrachtete sich von allen Seiten und bemerkte dabei ein Fach hinter der Kleiderstange. Dort lagen sorgfältig zusammengerollte Krawatten nebeneinander und zwei mit Klebeetiketten verschlossene Pakete aus der Wäscherei. Er riss eines davon auf und fand einen Stapel frisch gewaschener weißer Boxershorts. Das andere Paket enthielt paarweise gebündelte schwarze Herrensocken.
Er entschied sich für eine dezent gemusterte kastanienbraune Krawatte. Sie wirkte irgendwie britisch, so als weise sie den Träger als Absolventen einer teuren Privatschule aus. Schlüpfte dann in weiße Boxershorts und frische Socken. Stieg in die Anzughose. Warf sich das Jackett über. Zog seine neuen Schuhe an und polierte sie mit dem weichen Papier der Wäschepakete. Trat wieder vor den Spiegel. Der Anzug saß sehr gut. Ärmel und Hosenbeine waren vielleicht ein bisschen zu lang, das Jackett eine Spur zu eng. Insgesamt aber sah er darin sehr beeindruckend aus. Wie ein völlig
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