Tödliche Absicht
Hauses lag.
»Verteidigung ist okay«, sagte sie. »Aber Angriff ist Verteidigung, oder? In so einer Situation? Aber wir lassen die Dinge immer auf uns zukommen. Und dann laufen wir vor ihnen weg.«
»Ihr habt Ermittler«, sagte er. »Wie den Mann, der sich Filme ansieht.«
Sie nickte. »Die Abteilung Personenschutzforschung. Sie spielt eine merkwürdige Rolle. Irgendwie akademisch. Eher strategisch als taktisch.«
»Dann nimm die Sache doch selbst in die Hand. Probier ein paar Dinge aus.«
»Zum Beispiel?«
»Da Nendick nicht redet, sind wir wieder auf das ursprüngliche Beweismaterial angewiesen. Also müssen wir von vorn anfangen. Du solltest dich als Erstes auf den Daumenabdruck konzentrieren.«
»Der ist nirgends gespeichert.«
»Bei der Abfrage von Datenbanken gibt’s Pannen. Dateien werden aktualisiert, neue Abdrücke gespeichert. Du solltest alle paar Tage dort anfragen und auch den Suchbereich ausweiten. Versuch’s mit anderen Staaten und bei Interpol.«
»Ich bezweifle, dass diese Verbrecher Ausländer sind.«
»Aber vielleicht Amerikaner, die im Ausland waren. Möglicherweise sind sie in Kanada oder Europa mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Oder in Mexiko oder Südamerika.«
»Vielleicht«, sagte sie.
»Und du solltest die Datenbanken nach jemandem durchgehen, der schon mal Drohbriefe mit einem Daumenabdruck signiert hat. Wie weit reichen die Archive zurück?«
»Bis in die Steinzeit.«
»Dann solltest du die Suche auf die letzten zwanzig Jahre begrenzen. Vermutlich haben damals in der Steinzeit viele Leute alles Mögliche mit ihrem Daumenabdruck signiert.«
Sie lächelte müde.
»Bevor sie schreiben gelernt haben«, fügte er hinzu.
Sie gab keine Antwort, schlief bereits an seiner Schulter geschmiegt. Er blieb noch einige Zeit ruhig liegen, dann knipste er die Nachttischlampe aus.
Scheinbar nur kurze Zeit später waren sie wieder auf den Beinen und saßen mit einem FBI-Verbindungsmann namens Bannon im Konferenzraum des Secret Service, aßen Doughnuts und tranken Kaffee. Reacher trug den dritten von Joes hinterlassenen Anzügen, das dritte Somebody & Somebody- Hemd und dazu eine einfarbige blaue Krawatte. Froelich hatte wieder einen schwarzen Hosenanzug an und Neagley dasselbe Outfit wie am Sonntagabend. Auf das Nendick nicht geachtet hatte. Sie wechselte ihre Garderobe so rasch, wie es die Hotelwäscherei zuließ. Stuyvesant erschien wie gewöhnlich in einem tadellosen Anzug von Brooks Brothers. Er sah erschöpft aus. Das taten sie alle, was Reacher etwas Sorgen machte. Seiner Erfahrung nach beeinträchtigte Müdigkeit die Aufmerksamkeit.
»Wir schlafen im Flugzeug«, schlug Froelich vor. »Wir sagen dem Piloten, dass er langsam fliegen soll.«
Bannon, ein großer und schwerer Mann, war ungefähr vierzig. Er trug ein Tweedsakko und eine graue Flanellhose und sah wie ein Ire aus. Er hatte ein rotes Gesicht, das an diesem Wintermorgen noch röter aussah. Er war höflich und gut gelaunt und hatte die Doughnuts und den Kaffee mitgebracht. Das war sehr gut angekommen und hatte das Eis zwischen den beiden Diensten schmelzen lassen.
»Keine Geheimnisse voreinander«, sagte er. »So lautet unser Vorschlag. Und keine Schuldzuweisungen. Aber auch keine Verarschung. Ich denke, dass wir uns mit der Tatsache abfinden müssen, dass Mrs. Nendick tot ist. Wir werden zwar nach ihr fahnden, aber wir sollten uns keinen Illusionen hingeben. Also haben wir’s schon mit drei Opfern zu tun. Ein paar, aber nicht allzu viele Hinweise. Wir vermuten, dass Nendick mit diesen Kerlen in seinem Haus zusammengetroffen ist – und wenn’s nur war, um seine Frau zu entführen. Also ist es ein Tatort. Wir werden ihn uns heute vornehmen und Ihnen das Ergebnis mitteilen. Nendick wird seine Hilfe nicht verweigern, falls er jemals wieder aufwacht. Aber vorerst wollen wir uns auf drei Punkte konzentrieren: erstens auf die Sache mit den Drohbriefen hier in Washington; zweitens auf den Tatort in Minnesota und drittens auf den Tatort in Colorado.«
»Führen Ihre Leute dort die Ermittlungen?«, fragte Froelich.
»An beiden Orten«, antwortete Bannon. »Unsere Ballistiker haben die in Colorado benützte Waffe als eine Maschinenpistole von Heckler & Koch identifiziert – eine so genannte MP5.«
»Das haben wir schon vermutet«, sagte Neagley. »Und sie hatte wahrscheinlich einen Schalldämpfer, was sie zu einer MP5-SD6 macht.«
Bannon nickte. »Sie waren beim Militär, stimmt’s? Dann kennen Sie die MP5. Sie ist eine
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