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Tödliche Absicht

Tödliche Absicht

Titel: Tödliche Absicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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USA Today in die Kamera. Neagley gab ihm einen zweiten Umschlag. Auch er enthielt ein Polaroidfoto. Dieselbe Frau, dieselbe Haltung. Dieselbe Zeitung, aber ein anderes Datum.
    »Beweise, dass sie noch lebt«, sagte Reacher.
    Neagley nickte. »Aber sieh dir das hier an. Wofür ist das ein Beweis?«
    Sie gab ihm einen weiteren Umschlag. Einen braunen gepolsterten Umschlag. Er enthielt etwas weiches Weißes, einen Nylonslip. Verfärbt. Leicht schmutzig.
    »Klasse«, sagte er. Dann hielt sie ihm einen vierten Umschlag hin. Wieder ein brauner gepolsterter Umschlag. Kleiner. Mit einer nicht sehr großen, hübsch überzogenen Pappschachtel, in der sich Schmuck hätte befinden können. Sie war mit einem rot verfärbten Wattebausch ausgekleidet, auf dem eine Fingerspitze lag. Man hatte sie mit einem scharfen Instrument am ersten Gelenk abgetrennt. Vielleicht mit einer Gartenschere. Nach Größe und Form vermutlich vom kleinen Finger der linken Hand. Am Fingernagel war noch Nagellack. Reacher starrte ihn lange an. Nickte dann und gab Neagley die Schachtel zurück. Ging wieder in die Küche und baute sich vor Nendick auf. Sah ihm ins Gesicht. Fasste einen Entschluss.
    »Stuyvesant«, sagte er laut, »und Froelich, warten Sie bitte drüben im Wohnzimmer.«
    Überrascht zögerten sie einen Moment, verließen dann aber gehorsam den Raum.
    Anschließend rief er Neagley zu sich.
    Sie blieb schweigend neben ihm stehen. Er beugte sich nach vorn, stützte beide Ellbogen auf die Theke, brachte sein Gesicht auf gleiche Höhe mit dem von Nendick und sprach leise, aber eindringlich auf ihn ein.
    »Okay, sie sind weg«, begann er. »Wie Sie wissen, sind wir nicht vom Secret Service. Sie haben uns neulich zum ersten Mal in Ihrem Leben gesehen. Deshalb können Sie uns vertrauen. Wir machen keinen Scheiß, wie sie’s tun würden. Wir kommen aus einer Organisation, in der grundsätzlich kein Scheiß gemacht werden darf und die sich an keine Regeln hält. Also können wir Ihre Frau zurückholen. Wir wissen, wie man das macht. Wir schnappen uns die Kerle und bringen Ihre Frau zurück. Heil und gesund. Darauf gebe ich Ihnen mein Ehrenwort.«
    Nendick hob den Kopf und öffnete den Mund. Seine Lippen waren trocken. In den Mundwinkeln klebte Spucke. Dann machte er den Mund wieder zu. Biss die Zähne zusammen. Er zog eine seiner zitternden Hände unter der Achsel hervor und presste Daumen und Zeigefinger zusammen, als halte er damit einen kleinen Gegenstand fest. Dieses imaginäre Ding zog er wie einen Reißverschluss langsam quer über die Lippen. Dann schob er die Hand wieder unter seine Achsel. Zitterte. Starrte die Küchenwand an. Aus seinem Blick sprach irrsinnige Angst. Unkontrollierbares Entsetzen. Er begann wieder zu schaukeln. Hustete. Hustete und würgte, aber sein Mund blieb geschlossen. Rang mit geschlossenem Mund verzweifelt nach Atem. Dann verdrehte er plötzlich die Augen, sodass das Weiße sichtbar wurde, und kippte rückwärts vom Hocker.

10
     
    Sie bemühten sich vor Ort um ihn, aber alle Bemühungen waren zwecklos. Nendick lag einfach auf dem Küchenboden, bewegte sich nicht, war nicht richtig bei Bewusstsein, aber auch nicht ganz bewusstlos. Er sah blass aus und schwitzte. Die Atmung ging flach, ebenso der Puls. Er reagierte nur auf Berührungen und Lichtreize. Eine Stunde später lag er in einem bewachten Zimmer im Walter Reed Army Medical Center. Die vorläufige Diagnose lautete: psychotisch induzierte Katatonie.
    »Vor Angst gelähmt, um es laienhaft auszudrücken«, erklärte der Arzt. »Das ist ein ernster Krankheitszustand. Wir sehen ihn am häufigsten bei abergläubischen Populationen wie auf Haiti oder in Teilen Louisianas. Mit anderen Worten in Voodoo-Gebieten. Die Opfer leiden unter Schweißausbrüchen, starker Blässe, Blutdruckabfall und Bewusstseinsstörungen. Es ist nicht das Gleiche wie eine durch Adrenalin ausgelöste Panik. Dies ist ein neurogener Prozess. Das Herz schlägt langsamer, die großen Blutgefäße im Unterleib ziehen Blut aus dem Gehirn ab, die meisten willkürlichen Körperfunktionen werden lahm gelegt.«
    »Was könnte bei einem Menschen diese Symptome auslösen?«, fragte Froelich.
    »Etwas, an das der Betreffende fest glaubt«, antwortete der Arzt. »Das ist der Schlüssel. Das Opfer muss davon überzeugt sein. Ich vermute, dass die Entführer seiner Frau ihm geschildert haben, was sie ihr antun werden, wenn er sie verrät. Dann hat Ihr Kommen eine Krise ausgelöst, weil er fürchtete, er würde

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