Tödliche Absicht
kleinen Kratern übersät und stumpf und grau war. Er richtete sich kniend auf und drehte sich blitzschnell einmal um die eigene Achse.
Hier oben war niemand.
Er befand sich unter freiem Himmel in einer mit Blei ausgeschlagenen flachen Box. Die Seitenwände waren ungefähr einen Meter hoch. In der Mitte, wo man den Fahnenmast, den Mast der Wetterfahne und den Blitzableiter verankert hatte, stieg der Boden an. Das in Platten aufgebrachte Blei war sorgfältig in Form gehämmert und verlötet. An den vier Ecken befanden sich Abläufe, die Regen- und Schmelzwasser ableiteten.
Reacher kroch auf allen vieren an die Brüstung. Aufstehen wollte er lieber nicht, da er vermutete, dass die unten eingesetzten Agenten ausgebildet waren, auf zufällige Bewegungen an höher gelegenen Punkten zu achten. Er schob seinen Kopf über die Brüstung. Direkt unter sich, mehr als zwanzig Meter tiefer, sah er Armstrong stehen, neben ihm der neue Senator. Die sechs Agenten umgaben sie in einem perfekten Kreis. Dann nahm er aus dem Augenwinkel heraus eine Bewegung wahr. Hundert Meter von der Kirche entfernt liefen die zur Sicherung eingesetzten Cops zusammen. Sie versammelten sich in der hintersten Ecke der vom Zaun des Gemeindezentrums umschlossenen Fläche und starrten auf etwas hinunter. Dann wandten sie sich ab und schienen aufgeregt in die Mikrofone ihrer Funkgeräte zu sprechen. Er ließ seinen Blick wieder direkt nach unten wandern und beobachtete, wie Froelich sich schnell durch die Menge drängte und auf die Cops zuhielt.
Er kroch wieder zur Falltür und machte sich auf den Rückweg. Nahm nach der zweiten Leiter Mantel und Jackett an sich und eilte die steile, enge Holztreppe hinunter, an den Glockenseilen vorbei und ins Kirchenschiff hinaus.
Die massive Eichentür stand weit offen.
Der Deckel des Kastens mit Gesangbüchern war aufgeklappt, und der Schlüssel steckte innen im Schloss der Kirchentür. Reacher ging darauf zu und blieb einen Meter davor stehen. Wartete. Horchte. Spurtete in die Kälte hinaus und machte nach zwei Metern abrupt Halt. Warf sich herum. Aber hier lauerte ihm niemand auf. Die freie Fläche vor dem Kirchenportal lag still und verlassen da. Aus der Ecke des Gemeindezentrums, in der er die Cops gesehen hatte, kamen aufgeregte Stimmen. Er schlüpfte in Jackett und Mantel und hielt darauf zu. Sah einen Mann in einem langen rötlichbraunen Mantel aus mittelschwerem Stoff auf sich zurennen. Er hielt eine Hand wie zum Gruß erhoben. In seiner Handfläche glänzte eine goldene Polizeiplakette. Irgendein Kriminalbeamter aus Bismarck. Vielleicht sogar der Captain, der den Einsatz der hiesigen Polizei leitete.
»Ist der Kirchturm sicher?«, rief er aus zehn Metern Entfernung.
»Dort ist niemand«, antwortete Reacher ebenso laut. »Was ist los?«
Der Cop blieb stehen, beugte sich nach vorn und stemmte, nach Luft ringend, seine Hände auf die Knie.
»Keine Ahnung«, rief er. »Irgendein großer Rummel.«
Dann starrte er über Reachers Schulter hinweg das Kirchenportal an.
»Verdammt, die Tür hätten Sie zusperren müssen«, schrie er. »Das Scheißding darf nicht offen bleiben.«
Er trabte auf die Kirche zu. Reacher lief in Gegenrichtung weiter. Begegnete Neagley, die von der Zufahrtsstraße angerannt kam.
»Was gibt’s?«, rief sie laut.
»Es ist so weit«, antwortete er ebenso laut.
Sie rannten zusammen weiter. Durchs Kirchentor und auf den Rasen hinaus. Froelich lief in Richtung Wagenkolonne. Die beiden änderten ihre Richtung und schnitten ihr den Weg ab.
»Am Zaun hat man ein verstecktes Gewehr gefunden«, erklärte sie.
»In der Kirche war jemand«, sagte Reacher außer Atem. »Auf dem Turm. Wahrscheinlich oben auf der Plattform. Vielleicht ist er noch irgendwo in der Nähe.«
Froelich starrte ihn an und verharrte einen Moment bewegungslos. Dann sprach sie ins Mikrofon an ihrem Handgelenk.
»Achtung, wir brechen ab«, sagte sie. »Schneller Abtransport, wenn ich bis drei zähle.«
Ihre Stimme klang sehr ruhig.
»Achtung, alle Fahrer bereithalten. Limousine und Gun Car zur Zielperson, wenn ich bis drei zähle.«
Sie machte eine kurze Pause.
»Eins, zwo, drei, sofort Abbruch, sofort Abbruch!«
Zwei Dinge passierten gleichzeitig. Als Erstes heulten die Motoren der Wagenkolonne auf, die sich blitzartig aufteilte. Der erste Streifenwagen schoss nach vorn, der zweite stieß zurück, und die beiden vorderen Stretchlimousinen beschrieben einen engen Halbkreis, beschleunigten auf dem Kies und fuhren
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