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Tödliche Aktien

Titel: Tödliche Aktien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ridpath
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furchterregend. Man hatte das Gefühl, man müsse von den Gebäuden, die neben, über und unter einem emporschossen oder schrumpften, zermalmt werden.
    Doch an ruhigen Tagen wie diesem lagen die Gebäude friedlich auf den flachen Hängen im virtuellen Sonnenlicht. Hoch am Himmel zog der Adler seine majestätischen Kreise.
    Ich befand mich am Fuße eines sehr hohen Gebäudes, das von einer Gruppe sehr viel kleinerer umgeben war. Auf allen wehte die italienische Flagge. Das hohe Gebäude nahm eine große Fläche ein. Daraus war zu schließen, daß es sich um eine bedeutende italienische Staatsanleihe handelte und daß es eine höhere Rendite hatte als vergleichbare Papiere.
    »Das sind die CCT von August null eins«, sagte Ed.
    Er meinte die Certificati di Credito del Tesoro mit einer Laufzeit bis August 2001. Der italienische Staat garantierte für ihre Sicherheit.
    Am Dach des Gebäudes las ich die Rendite ab. »Zweieinhalb Prozent über dem Libor. Das ist ja lächerlich«, sagte ich. Zweieinhalb Prozent über dem Libor, dem täglich festgesetzten kurzfristigen Zins, zu dem sich die Banken am Londoner Geldmarkt untereinander Geld leihen. Das hieß, man konnte Geld aufnehmen, die Anleihe kaufen und fast ohne Risiko zweieinhalb Prozent Gewinn einstreichen. In Börsenkreisen nennt man das einen free lunch , eine »kostenlose Mahlzeit«.
    Ich nahm die Datenbrille ab. »Warum ist die Anleihe so billig?«
    »Da gibt’s ’ne Menge Gründe. Die Italiener haben gerade beschlossen, eine Quellensteuer auf die CCT zu erheben, deswegen wurden sie von allen Anlegern abgestoßen. Und dann hat das italienische Finanzministerium in seiner unergründlichen Weisheit den Entschluß gefaßt, die größte CCT-Emission aller Zeiten aufzulegen.«
    »Und sie war ein Flop?«
    »Eine Katastrophe. Sie steht bei fünfundneunzig und müßte mit achtundneunzig gehandelt werden.«
    »Wo ist der Haken?«
    »Kein Haken«, sagte Ed.
    Eine halbe Stunde lang ging ich alle Einzelheiten der Anleihe mit ihm durch. Er hatte recht. Es gab keinen Haken.
    Also kauften wir CCT für hundert Millionen Dollar, und ich fuhr nach Schottland zurück.
    SIEBZEHN
    »Uns bleibt keine Wahl, wir müssen verkaufen«, sagte ich. »Mit Walter habe ich schon gesprochen, und er ist der gleichen Meinung. Heute nachmittag rufe ich Scott Wagner an und bitte ihn, sich darum zu kümmern.«
    Ich wartete ihre Reaktionen ab. Willie war erleichtert. David begnügte sich mit einem Lächeln.
    Rachel war alles andere als erfreut. »Fragen Sie uns, oder teilen Sie uns das mit?« fragte sie schneidend.
    »Tut mir leid, ich teile es Ihnen mit«, sagte ich. »Aber wir können gerne abstimmen, wenn Sie möchten.« Ich spürte, daß ich Willie und David auf meiner Seite hatte.
    »Und was ist mit den Banken? Sie haben doch bestimmt Beziehungen in der City. Können Sie da nicht was erreichen?«
    »Kein Banker, der bei Sinnen ist, würde uns bei diesem Stand der Dinge auch nur einen Penny leihen. Ebensogut könnte er sein Geld im Klo runter spülen.«
    »Gut, ich bin trotzdem dagegen«, sagte Rachel. »Wir alle wissen, daß Richard nie verkauft hätte. Also sollten wir es auch nicht tun, nur weil er … tot ist.« Rachel begann sich zusehends zu erregen. Ihre Wangen hatten Farbe bekommen, und ihre Stimme schwankte. Das verblüffte uns alle. Wir waren nicht daran gewöhnt, daß Rachel Gefühle zeigte.
    »Wenn wir den richtigen Käufer finden, können Sie mit Ihrer Arbeit fortfahren«, sagte ich behutsam. »Dann können Sie immer noch dafür sorgen, daß die Virtuelle Realität den Platz bekommt, den Richard ihr zugedacht hat.«
    »Sparen Sie sich Ihren überheblichen Ton!« fuhr Rachel mich an. »Ich kann einfach nicht glauben, daß Sie das fertigbringen. Sie haben doch gesehen, wie wir geschuftet haben, um so weit zu kommen. Richard, ich, Keith, Andy, Terry, David, Willie, sogar Sie. All diese Sieben-Tage-Wochen, diese Vierundzwanzig-Stunden-Tage, all diese unüberwindlichen Probleme, die wir gelöst haben.« Ihr Gesicht rötete sich, und ihre Worte überschlugen sich. »Wir sind so nahe dran, so verdammt nah. Und jetzt wollen Sie alles hinschmeißen, trampeln auf allem herum, woran Ihr Bruder geglaubt hat und wofür er gearbeitet hat!« Sie stand abrupt auf. »In Ordnung, lassen Sie sich nicht aufhalten, aber tun Sie’s gefälligst ohne mich!« Sie stürzte davon.
    Wir saßen wie versteinert. »Sie kriegt sich schon wieder ein«, sagte David. »Das braucht sie einfach. Jedes Genie hat von Zeit

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