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Tödliche Aktien

Titel: Tödliche Aktien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ridpath
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zu Zeit seinen Wutanfall.«
    Ich seufzte. »Okay, ich setze mich mit Wagner Phillips in Verbindung und schaue mir an, was für einen Käufer er uns präsentieren kann. Einen Monat müßten wir es noch schaffen. Aber wir müssen jeden Penny umdrehen.«
    David und Willie gingen. Nachdenklich blieb ich sitzen und rief mir noch einmal Rachels Verhalten ins Gedächtnis.
    Ich hatte zwar erwartet, daß sie sich gegen den Verkauf sperren würde, aber mit einer so heftigen Reaktion hatte ich doch nicht gerechnet. David täuschte sich. Ein solcher Wutanfall war ganz untypisch für sie. Und ohne sie konnte das Unternehmen gleich dichtmachen.
    Eigentlich hielt ich es für klüger zu warten, bis sie sich beruhigt hatte, aber irgend etwas veranlaßte mich, sie jetzt aufzusuchen. Da stimmte etwas nicht. Da gab es etwas, was sie wußte und wir anderen nicht. Es war an der Zeit, daß sie mir reinen Wein einschenkte.
    Die Rollos waren heruntergezogen, so daß ich nicht in ihr Büro sehen konnte. Keith, Andy und die anderen starrten mich an, als ich an ihnen vorbei zu ihrer Tür ging. Ich klopfte.
    Keine Antwort.
    Ich stieß die Tür auf, trat ein und schloß sie hinter mir.
    Rachel saß an ihrem Schreibtisch, den Kopf in die Hände gestützt, so daß ihr Haar auf den Tisch fiel. Still schluchzte sie in sich hinein. Sie blickte nicht auf.
    »Rachel?«
    Keine Reaktion. Nur das Schluchzen hörte auf.
    Ich setzte mich in den Stuhl vor ihrem Schreibtisch und wartete. Ich fühlte mich unbehaglich, beschloß aber zu bleiben. Wenn sie allein sein wollte, hätte sie es mir schon gesagt. Das wußte ich.
    Vielleicht eine Minute lang saßen wir so. Dann richtete sie sich auf und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Einen Tropfen, der ihr an der Nasenspitze hing, wischte sie mit dem Ärmel ab.
    Immer noch schwiegen wir uns an.
    Schließlich sagte sie: »Das war das erstemal, daß ich um ihn geweint habe. Nun ist er schon einen Monat tot, und ich habe zum erstenmal geweint.«
    Sie bemühte sich, ihre Stimme unter Kontrolle zu bekommen, tief durchzuatmen, langsam und überlegt zu sprechen, aber es klappte nicht so recht. Wieder schluchzte sie, und wieder sank ihr der Kopf in die Hände.
    Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Etwas wie »Schon gut, schon gut« erschien mir so albern, daß ich lieber den Mund hielt.
    »Mein Gott, wie er mir fehlt!« sagte sie. »Er war ein wundervoller Mensch, wirklich großartig. Und es will mir einfach nicht in den Kopf, daß es ihn nicht mehr gibt.
    Hin und wieder, spät nachts, wenn ich hier sitze und arbeite, habe ich das Gefühl, daß er neben mir steht. Daß wir gemeinsam über ein Problem nachdenken. Manchmal ist er auf diese Weise zwei bis drei Stunden bei mir. Dann entwickeln wir Ideen und Lösungen. Gemeinsam.«
    Sie weinte jetzt nicht mehr, wollte aber reden. »Ich habe so lange mit ihm zusammengearbeitet. Oft war ich die einzige, die ihm folgen konnte. Dann hatte ich das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu sein. Und jetzt passiert so viel dadrin.« Sie zeigte auf ihren Kopf. »Und niemand ist da, mit dem ich es teilen kann. Manchmal habe ich das Gefühl, daß es mich verrückt macht.«
    »Haben Sie ihn geliebt?« fragte ich.
    Schweigend sah sie mich eine Weile an. Meine Frage hatte sie nicht schockiert. Sicherlich hatte sie in diesen langen Nächten auch darüber nachgedacht.
    »Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, was Liebe ist. Wissen Sie’s?«
    Wußte ich’s? Natürlich wußte ich’s. Ich liebte doch Karen, oder? Liebte ich sie? Ich war mir nicht sicher.
    Dann dachte ich an Richard. »Ich habe ihn geliebt«, sagte ich.
    Sie lächelte mich an. Das hieß: Ich verstehe dich, ich nehme dir die Liebe zu deinem Bruder ab.
    Doch dann verfinsterte sich ihr Gesicht wieder. Sie atmete tief durch. »Und dann reden Sie von Verkaufen, dann wollen Sie alles verkaufen, wofür er gearbeitet und gelebt hat? Das ist, als würden Sie ihn ein zweites Mal umbringen. Begreifen Sie das nicht?«
    »Schon«, sagte ich, »aber ich kann nichts daran ändern.«
    »Sie begreifen nichts.«
    Das traf mich zwar, aber ich wollte nicht mit ihr streiten. So zuckte ich nur mit den Achseln.
    Unverwandt blickte sie mich an. Sie dachte nach und kam zu einem Entschluß. »Sie begreifen es nicht, weil Sie das Projekt Plattform nicht kennen.« Sie stand auf. »Kommen Sie!«
    Sie warf das Haar nach hinten, zog den Pullover glatt, straffte die Schultern und verließ das Büro. Ich folgte ihr.
    Quer durch den Softwaresaal gingen wir zu der Tür

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