Tödliche Aktien
Lösungen, die wir gefunden haben, das ist wirklich ungeheuer. Die Sache läßt uns nicht los, egal, ob wir essen, schlafen oder träumen.«
Er beugte sich vor, bemüht, mir seine Sicht der Dinge zu vermitteln. »Nehmen Sie zum Beispiel FairRender. Vor zwei Jahren hatte ich eine Idee, wie man einen völlig neuen Graphikchip bauen könnte. Ich hab’ Richard davon erzählt. Zunächst sah es so aus, als würde es noch zwei Chipgenerationen dauern, bis sich die Idee umsetzen ließ. Deshalb versuchten wir erst mal was anderes. Aber es ließ mir keine Ruhe. Ich war entschlossen, meine Idee irgendwie mit den heutigen Chips zu verwirklichen.«
Wild gestikulierend, versuchte er mir klarzumachen, wie groß die Idee gewesen war und wie winzig das Siliziumplättchen, auf dem sie hatte Platz finden müssen. »Es ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Egal, ob beim Essen, Schlafen oder Fernsehen, immer hab’ ich mich mit dem Problem beschäftigt. Und plötzlich hatte ich die Lösung. Ich war völlig aus dem Häuschen.« Triumphierend lehnte er sich zurück. »Und jetzt ist FairRender reif für die Produktion.«
Ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. »Aber wenn wir verkaufen, wird FairRender doch auch hergestellt, nur von einem größeren Unternehmen«, wandte ich ein.
»Das ist nicht das gleiche«, sagte Andy. »Wir sind Richards Team. Entweder machen wir das Projekt Plattform, wie er es wollte, oder gar nicht.«
»Es könnte Sie Ihren Job kosten.«
»Wir können andere Jobs haben«, sagte Andy. »Aber so was wie hier kriegen wir nie wieder.«
»Wie denken die anderen darüber?«
»Genauso«, sagte Keith.
»Für einige wird es schwieriger sein, wieder Arbeit zu finden«, gab Andy zu, »aber einen Verkauf wollen sie auf keinen Fall, glauben Sie mir.«
Keith räusperte sich. »Andy und ich haben viertausend Pfund. Die können Sie haben, wenn es Ihnen hilft.«
Ich lächelte. »Leider brauche ich bedeutend mehr. Aber vielen Dank für das Angebot. Lassen Sie Ihre Ersparnisse lieber auf der Bank. Vielleicht brauchen Sie sie noch.«
Schweigend sahen die beiden mich an.
»Ich bin beeindruckt von der Hingabe, mit der sich jeder Mitarbeiter für diese Firma einsetzt. Das hat das Unternehmen stark gemacht. Sie alle haben durch Ihre enorme Leistung dafür gesorgt, daß aus FairSystems mehr geworden ist als nur ein Traum. Deshalb werde ich die Firma nicht aufgeben, bevor wir das erreicht haben, was wir schaffen können.«
»Also werden Sie nicht verkaufen?« fragte Keith, atemlos vor Spannung.
»Ich werde nicht verkaufen«, sagte ich lächelnd.
»Spitze!« sagte Keith und grinste Andy an.
»Aber ich gehe da ein großes Risiko ein«, sagte ich. »Und es sind Ihre Jobs, die auf dem Spiel stehen.«
»Von mir aus geht das in Ordnung«, sagte Andy.
»Klar«, grinste Keith. »Wir haben es fast geschafft. Bloß nicht aufgeben jetzt.«
»Vielen Dank für Ihre Hilfe.«
»Gern geschehen«, sagte Keith. »Danke für Ihre Offenheit. Wir schaffen es. Sie werden sehen.« Damit standen die beiden auf und verschwanden.
Als sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, fiel mein Blick auf die Fotos an der Wand: Richard und die ersten VR-Geräte, die er zusammengebastelt hatte. Es waren bizarre Maschinen. Was jetzt in einer kompakten Datenbrille integriert war, war damals ein massiver Helm gewesen, der über einen Metallarm mit dem Computer verbunden gewesen war. Auf diese Weise wurden die Kopfbewegungen erfaßt, bevor die elektromagnetischen Sensoren entwickelt worden waren. Für einige Anwendungen, die eine hohe Präzision erforderten, wurde die alte Methode noch immer angewandt.
Inzwischen hatte es das Unternehmen weit gebracht. Und es stand für so vieles. Wie Rachel und mein Vater ganz richtig gesagt hatten, war es alles, was uns von Richard geblieben war. In ihm hatten seine Träume und seine Arbeit Gestalt angenommen. Es war aber auch eine Gelegenheit, Millionen von Pfund zu gewinnen – oder zu verlieren. Und es bedeutete den Lebensunterhalt für sechzig Menschen. Ich setzte ihre Existenz aufs Spiel.
Doch die Unterredung mit Keith und Andy hatte mir vor Augen geführt, daß auch für sie FairSystems mehr als nur ein Job war. Bei den ungezählten Stunden, die sie für die Firma geopfert hatten, hatten sie nicht nur an die Lohntüte gedacht. Das Ganze war ein Abenteuer, der Versuch, etwas zu leisten, was noch niemand vor ihnen geschafft hatte, und es war auch für sie eine Chance, etwas für Richard zu tun.
Ich dachte nicht
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