Tödliche Aktien
Schreibtisch. Alle seine persönlichen Sachen waren fort. Wie Karen gesagt hatte, er war Schnee von gestern.
Steve war in seine Diagramme vertieft und nahm, von einem kurzen Winken abgesehen, fünf Minuten lang keine Notiz von mir. Mit Hilfe seiner Maus zeichnete er in das Diagramm der Aktien, in denen er eine große Position hielt, ein ganzes Gewebe von Hilfs- und Widerstandslinien ein. Steve glaubte keineswegs vorbehaltlos an die Aussagekraft seiner Diagramme, trotzdem zog er sie immer zu Rate.
Fasziniert beobachtete Rachel ihn. Ich sah förmlich, wie ihr Gehirn arbeitete, als sie versuchte, herauszufinden, was Steve tat.
Als er fertig war, machte ich ihn mit Rachel bekannt. Er lächelte höflich und sah sich augenblicklich einem Bombardement von Fragen ausgesetzt: Was er getan habe und warum und ob er eine nichtlineare Analyse vorgenommen habe, und wenn nicht, weshalb nicht.
Steve schien die Fragestunde Spaß zu machen, und mir wurde klar, daß es so den ganzen Tag weitergehen würde, wenn ich dem kein Ende bereitete.
»Du hast gesagt, du hättest etwas für mich, Steve?«
»Richtig«, sagte er und erinnerte sich daran, daß es mich auch noch gab. Sein Gesicht umwölkte sich, und er beugte sich vor, während er sich vorsichtig umsah. Niemand achtete auf uns.
Er dämpfte seine Stimme zu einem Flüstern. »Es geht um unseren Freund Hartman. Sieht so aus, als sei die SEC hinter ihm her.«
»Das überrascht mich nicht.« Die SEC, die amerikanische Börsenaufsicht, ist für die Strafverfolgung von Wertpapierbetrug und Insidergeschäften verantwortlich. Nach allem, was ich von Hartman gehört hatte, war er eindeutig ein Fall für diese Behörde.
»Nein, nein, ich meine, sie haben ihn wirklich schon fast am Kanthaken. Ich kenne einen Burschen bei Bloomfield Weiss, den hat man bei Strafandrohung dazu gezwungen, alles über die Futurenet-Transaktionen mitzuteilen, die er mit Hartman und einer Reihe obskurer, in Steueroasen ansässiger Fonds abgewickelt hat. Die allgemeine Losung lautet, Finger weg von Geschäften mit Hartman. Nach der Boesky-Geschichte will niemand wieder in solche Sachen verwickelt werden.«
»Was ist Futurenet?« fragte ich.
»Eine Firma in Seattle, die Datenübertragungssoftware herstellt. Jenson Computer hat sie letztes Jahr gekauft. Ganz offenkundig sind da vor der Bekanntgabe der Übernahme merkwürdige Dinge gelaufen.«
»Hab’ davon gehört«, sagte Rachel. »Futurenet entwickelt Software für Datenfernnetze. Aber wir benutzen sie nicht.«
»Das mit Hartman muß unter uns bleiben«, flüsterte Steve.
»Okay.« Ich nickte. »Danke.« Ich wandte mich Steves Bildschirmen zu. »Darf ich einen Blick auf das Diagramm von unserem Aktienkurs werfen?«
»Klar.« Steve betätigte ein paar Tasten, die Eingeweide seines Rechners surrten vor sich hin, und dann zeigte ein Diagramm die Kursentwicklung der FairSystems-Aktien.
»Er ist stabil«, sagte er. »Sehen Sie selbst.«
Tatsächlich. Zur Zeit der Hauptversammlung hatte der Kurs sechs Dollar erreicht und war dann auf fünf gefallen. Inzwischen war er wieder auf sechs geklettert. Hohe dünne Balken unter der Kurve zeigten an, daß diese Bewegung bei einem beträchtlichen Umsatzvolumen stattfand.
»Da kauft noch immer irgend jemand eure Aktien auf«, sagte Steve. »Ich bin ganz sicher.«
»Jenson Computer?«
»Könnte sein. Wenn es Jenson ist, werden Sie es bald wissen. Das muß der Börsenaufsicht mitgeteilt werden. Es sei denn, er kauft durch Strohmänner. Oder über Hartmans Netz.«
»Sie sagen, Jenson Computer hat Futurenet geschluckt?«
»Richtig.«
»Und was ist dann mit Futurenet passiert?«
Die Antwort kam von Rachel: »Sie haben ein Drittel der Mitarbeiter entlassen. Ein gerade eröffnetes Werk in Greenock wurde gleich wieder geschlossen. Viele der besten Leute hörten auf eigenen Wunsch auf. Keine ganz glückliche Entwicklung.«
»Okay, das wird uns nicht passieren«, sagte ich entschlossen.
Ich bat Rachel, ein paar Minuten bei Steve zu bleiben, und ging zur anderen Seite des Saals hinüber. Dort herrschte hektische Aktivität. Harrison Brothers legte gerade einen neuen Eurobond auf. Ich merkte, wie sehr ich diese wirbelnde Geschäftigkeit vermißt hatte, die verhaltene Spannung, dieses Gefühl, daß jederzeit alles passieren kann. Greg war am Telefon und winkte mir zu, als ich vorbeikam. Dann führte ich ein kurzes Gespräch mit Ed. Die italienische Transaktion ließ sich gut an. Die Anleihe war auf siebenundneunzigeinhalb
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