Tödliche Aktien
Träume lieber in Silicon Valley als in Silicon Glen angesiedelt.
»Also?« fragte Sorenson.
Alle emotionalen Gesichtspunkte beiseite gelassen, lag die richtige Entscheidung klar auf der Hand.
»Verkaufen«, sagte ich.
»Hm«, meinte Sorenson, während seine Augen prüfend auf mir ruhten. »Sie haben sich offenbar ein gründliches Bild von der Firma gemacht.« Er dachte einen Augenblick nach. »Haben Sie schon mit Ihrem Vater gesprochen?«
»Noch nicht«, sagte ich. »Das tue ich heute abend.«
»Okay. Tun Sie das. Ich werde auch mit ihm reden. Dann können wir morgen noch mal darüber sprechen.«
Auf der Rückfahrt nach Kirkhaven ließ ich den Tag bei FairSystems noch mal Revue passieren. Je mehr ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir, daß die Analyse, die ich Sorenson vorgetragen hatte, richtig war.
Alle emotionalen Gesichtspunkte beiseite gelassen … Als Trader hatte ich mich dazu erzogen, niemals irgendwelche Gefühle in meine Entscheidungen einfließen zu lassen. Das war eine der wichtigsten Grundregeln. Genau das hatte ich Richard immer vorgeworfen.
So freute ich mich nicht gerade auf das Telefongespräch mit meinem Vater.
Der Himmel klarte auf, als ich mich Kirkhaven näherte. Die Straße verlief parallel zur Küste, aber ein gutes Stück landeinwärts. St. Monans und Pittenweem, zwei kleine Ansammlungen weißer Häuser, schmiegten sich in die Küstenlinie, umgeben von einem üppiggrünen Flickenteppich aus Wiesen, auf denen schwarzbunte Rinder grasten. Ich begriff, warum Richard hier gelebt hatte. Die Fabrik in Glenrothes war modern und funktional, aber grau und eng. Hier dagegen war genügend Raum, hier konnten sich die Gedanken entfalten und umherschweifen, so daß es zu jenen scheinbar zufälligen Verknüpfungen kam, die nur ein zugleich entspannter und wacher Verstand herstellen kann. Die frische Meeresbrise und der diffuse, aber allgegenwärtige Sonnenschein sorgten für reine Luft und klares Licht, eine Atmosphäre, in der brauchbare Einfälle gut gedeihen können.
Ich rief meinen Vater an, sobald ich in Kirkhaven angekommen war. Seit ich ihm Richards Tod mitgeteilt hatte, war es das erste Gespräch, das ich mit ihm führte.
»Wie geht es dir, Mark?« fragte er. Vielleicht bildete ich es mir nur ein, aber ich hatte den Eindruck, seine Stimme wäre im Laufe der letzten Woche wiederum gealtert.
Seine Frage war ehrlich gemeint. Aber ich konnte mich nicht dazu überwinden, ihm ebenso ehrlich zu antworten. Die Konzentration während der Besichtigung in Glenrothes hatte den Schmerz, die Wut und die Schuld ein paar Stunden lang in den Hintergrund gedrängt, doch jetzt überfielen mich diese Gefühle wieder mit unverminderter Heftigkeit.
Daher ließ ich es bei einer oberflächlichen Antwort bewenden: »Danke, gut. Und dir?«
Kurzes Schweigen. »Für mich ist es sehr schwierig, Mark«, sagte er.
Ich verspürte den Drang, mich ihm zu öffnen, meine Trauer zu artikulieren, über Richard zu sprechen. Doch die Hindernisse waren zu groß. Mir fehlte die Energie, sie zu überwinden, und ich wußte noch nicht einmal, ob ich es wollte.
So kam ich gleich zur Sache. Ich wollte es rasch hinter mir haben. »Heute habe ich mir FairSystems angesehen, Dad.«
An meinem Tonfall hörte er, daß ich keine erfreulichen Nachrichten für ihn hatte. »Ja?«
»Es sieht nicht gut aus. Das Unternehmen wird pleite gehen, vielleicht schon im Sommer, spätestens im Herbst.«
»Das könnte möglich sein. Was ist mit der Technologie? Allen diesen neuen Produkten?«
»Die Firma wird nicht mehr lange genug existieren, um die meisten von ihnen auf den Markt zu bringen. Es ist kaum noch Geld da. Und jeden Monat wird das Loch größer.«
»Ich glaube es einfach nicht. Es muß einen Weg geben.«
»Den gibt es, Dad. Wir müssen verkaufen.«
»Nein, Mark. Das geht nicht.« Die Stimme meines Vaters klang jetzt entschiedener, fester. »Für Richard war FairSystems das Wichtigste auf der Welt. In gewisser Hinsicht das einzig Wichtige. Um seinetwillen müssen wir die Firma erhalten. Noch vor ein paar Wochen hat er sich geweigert zu verkaufen. Da können wir sie jetzt nicht veräußern, nur weil er tot ist. Ein oder zwei Jahre lang müssen wir es versuchen. Wir müssen seinem Traum eine Chance geben.«
Er redete daher wie ein Schulmeister, der einen unartigen Schüler zur Ordnung ruft. Das gefiel mir ganz und gar nicht. Den ganzen Tag über hatte ich versucht, eine sehr komplizierte Situation zu begreifen, und ich fand,
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