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Tödliche Aktien

Titel: Tödliche Aktien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ridpath
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Gates-Biographie lag noch immer umgekehrt auf dem Sofa, so daß das jugendliche Gesicht des Protagonisten durch die große Brille unverwandt zur Decke starrte. Immer noch fühlte ich mich befangen in Richards Haus. Ich war bemüht, nichts zu verändern; daher hatte ich alle meine Sachen in dem unbenutzten Zimmer im Obergeschoß untergebracht.
    Neben dem Fenster stand ein altes Schreibpult. Das hatte er von Mutter geerbt. Ich hatte keine Ahnung, wo sie es herhatte, wahrscheinlich von einem Trödler in Oxford. Noch hatte es die magische Grenze nicht überschritten, die alte, abgestoßene Möbelstücke von antiken trennt.
    Neugierig begann ich die Schubladen durchzusehen. Immer wieder entdeckte ich kleine Dinge, über die ich ins Träumen geriet. An sich hatten sie keine große Bedeutung, aber sie erinnerten mich an ihn. Briefe von einer alten Freundin, seine Diplomarbeit aus Edinburgh, ein Heft aus der Grundschule.
    Dann stieß ich auf die Bedienungsanleitung für einen Mikrocomputer der Marke MITS Altair 8800. Richard hatte das Heft mit Anmerkungen vollgekritzelt. Dad hatte das Gerät als Bausatz aus Amerika mitgebracht, und Richard hatte Stunden in seinem Zimmer verbracht, um es zusammenzusetzen. Damals mußte das im verborgenen geschehen. Richard hatte bei seinen Freunden in der Schule und auf der Straße einen Ruf zu verlieren. Computer waren ungeil. Mit fünfzehn erfreute sich Richard, blendend aussehend und witzig, wie er war, großer Beliebtheit bei den Schulmädchen am Ort. Und er ließ nichts anbrennen. Ich erinnere mich heute noch an seinen Blick, als ich mich damals angeboten hatte, einer seiner Freundinnen den neuen Computer zu zeigen. Das hatte seinem Ruf doch nachhaltig geschadet.
    Plötzlich fühlte ich mich sehr müde. Die Broschüre in der Hand, ließ ich mich im Sessel zurücksinken. Blicklos starrte ich die Wand an.
    Warum mußte Richard so früh sterben? Welchen Sinn hatte sein Leben gehabt? Warum hatte er alle seine Kräfte in FairSystems gesteckt, ein Unternehmen, das dazu bestimmt war, in ein paar Monaten pleite zu sein? Warum war es an mir hängengeblieben, diese verfahrene Situation zu bereinigen?
    Ich wußte keine Antwort. Meine seelische Energie reichte gerade aus, um solche Fragen zu stellen.
    Ich mußte raus. Also zog ich mir Jeans und eine Wolljacke an, griff mir eine Zehnpfundnote und machte mich auf den Weg zum Pub.
    Hundert Meter das Flüßchen hinauf lag der Inch Tavern. Warm und gemütlich war es drinnen: eine niedrige Balkendecke, Messingbeschläge, ein offener Kamin und eine gastfreundliche Atmosphäre. An der Bar standen ein halbes Dutzend Männer und eine Frau, die sich über einen gewissen Archie unterhielten. Wer er auch sein mochte, er schien heftige Gefühle zu wecken.
    Der Gastwirt war ein großer Bursche mit Bart und einem dicken karierten Hemd über einem T-Shirt. Das schien eine Art Uniform in Kirkhaven zu sein: Zwei Männer an der Bar trugen ein ähnliches Outfit, dazu dicke, warme Hosen. Vermutlich waren sie Fischer. Alle hatten sie kräftige runde Schultern. Starke Burschen.
    »Was darf ich Ihnen bringen, Mr. Fairfax?« fragte der Gastwirt.
    Einen Augenblick war ich überrascht, daß er meinen Namen kannte. Doch dann überlegte ich mir, daß er inzwischen wahrscheinlich in ganz Kirkhaven bekannt war. An dieser Bar war der Mord sicherlich stundenlang erörtert und von allen Seiten betrachtet worden.
    »Ein Pint IFA«, sagte ich.
    Der Gastwirt füllte mein Glas. Ich zahlte, setzte mich in die Nähe der Bar an einen kleinen Tisch und nahm erst mal einen kräftigen Schluck.
    Das Gespräch verstummte einen Augenblick lang, in dem die Gäste mich ausgiebig musterten, doch bald setzte es wieder ein. Während ich so mein Bier trank, mich in dem warmen Schankraum zurücklehnte und dem ungewohnten Klang der rauhen schottischen Stimmen lauschte, begann sich meine Niedergeschlagenheit etwas zu verflüchtigen. Ich entspannte mich ein wenig und lenkte meine Gedanken auf erfreulichere Dinge.
    Ich dachte an Karen, an unseren ersten gemeinsamen Urlaub im Jahr zuvor. Wir hatten eine Skiwanderung in Norwegen unternommen. Karen war sehr sportlich und eine ausgezeichnete Skiläuferin. Ich sah sie vor mir, wie ihre langen Beine die Bretter rhythmisch durch den gleißenden Schnee zogen. Und ich sah den Widerschein des Kaminfeuers auf ihrer nackten Haut in der kleinen Hütte, in der wir eine Nacht verbracht hatten. Mein Puls beschleunigte sich bei dem Gedanken an die Leidenschaftlichkeit, die

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