Tödliche Aktien
»An wen hab’ ich mich nach Richards Tod zu wenden? Nicht an das Arschloch Baker, falls Ihr das meint. Steht Ihr zum Verkauf? Baut Ihr noch VR-Geräte? Was liegt an?«
Ich lachte. »Der nimmt ja kein Blatt vor den Mund!«
»Das tut keiner von diesen Leuten.«
»Vielleicht sollte ich mich mal an ihn wenden«, sagte ich. »Wenn ich so darüber nachdenke, sollte ich mich vielleicht an sie alle wenden.«
»Sicher«, sagte Rachel, »das kann nicht schaden.«
Also setzte ich eine Nachricht auf, die die Situation ein bißchen schönte, aber glaubhaft war. Ich unterstrich, daß sich nichts ändern würde und daß Rachel jedem, der Fragen hätte, zur Verfügung stünde. Weiter hieß es, ich sei stolz auf das Unternehmen meines Bruders und würde mich mit allen Kräften für die Firma einsetzen. Der Adressatenkreis war kritisch und nicht eben zartbesaitet, doch ich hoffte, den richtigen Ton getroffen zu haben. Rachel schien sehr zufrieden mit dem Schreiben, also schickten wir es hinaus. Es war ein ganz besonderes Gefühl, mich im Mittelpunkt dieser Gemeinschaft zu wissen, die ein gemeinsames Ziel hatte. Richards Ziel.
»Sie haben gesagt, wir seien gerettet, sobald die VR-Preise fielen. Wann wird das sein?« fragte ich.
Rachel wich meinem Blick aus. »Na ja, ich weiß nicht. In einem Jahr, in zwei Jahren.«
Ich fragte mich, warum sie so ausweichend antwortete. Vielleicht war es ihr peinlich, daß trotz Richards Versprechen noch eine so lange Wegstrecke vor uns lag. Aber ich hatte den Eindruck, daß mehr dahintersteckte. »Was gibt es für Hindernisse?« fragte ich.
»Einige«, sagte sie. »Das erste ist die reine Rechenleistung. Jedes VR-System ist auf eine enorme Verarbeitungskapazität angewiesen. Im Augenblick laufen unsere anspruchsvolleren Systeme auf sehr leistungsfähigen Arbeitsplatzrechnern von Silicon Graphics. Für den Massenabsatz müssen wir ein System entwickeln, das problemlos auf einem normalen PC funktioniert. Dazu müssen wir eine Methode finden, mit deren Hilfe sich alle erforderlichen Rechnungsschritte außerordentlich effizient abwickeln lassen. FairSim1 ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber wir brauchen noch mehr.«
»Zum Beispiel FairRender, den neuen Graphikchip?«
Rachel lächelte. »Völlig richtig. Damit lassen sich viele Verarbeitungsschritte direkt auf dem Graphikchip ausführen, wodurch die CPU des PCs entlastet wird.«
»CPU?«
»Central Processing Unit, die zentrale Verarbeitungseinheit. Der Chip, der gewöhnlich alle Rechnungen im PC ausführt. Ja, mit FairRender und FairSim2 werden wir in der Lage sein, alle Prozesse so zu beschleunigen, daß auch ein normaler PC überzeugende VR-Eindrücke vermitteln kann.«
»Also, dann haben wir es doch fast geschafft. Wie erklärt sich dann die Verzögerung?«
»Wenn man die Technologie entwickelt hat, muß man sie serienmäßig herstellen und vermarkten. Chips können sehr billig sein. Dazu muß man sie aber in großen Mengen produzieren können. Viele hunderttausend statt ein paar hundert. Nun ist es aber ein großes Risiko, eine Fabrik zu errichten, die so viele Chips herstellen kann, wenn es noch keinen Markt dafür gibt. Solange solche Produktionsstätten jedoch nicht vorhanden sind, werden die Chippreise infolge der geringen Fertigungszahlen nicht runtergehen. Das gleiche gilt für andere Teile des Systems, die Datenbrillen und ähnliche Dinge. Und bei hohen Preisen läßt sich die Nachfrage nicht ankurbeln.«
Ich dachte über ihre Worte nach. »Und wie bringen wir dann den Markt auf Trab?«
»Ich schätze, da müssen Sie und David sich was einfallen lassen.« Ich war mit ihrer Antwort nicht zufrieden. Irgend etwas verschwieg sie mir.
Der Nachmittag war schon fortgeschritten, als ich endlich meine Verabredung mit David Baker einhalten konnte. Er war in Richards Büro. Richards persönliche Dinge – Fotografien, Papiere und so fort – waren in zwei Pappkartons geräumt worden. David war damit beschäftigt, seine Sachen in zwei große Kisten zu packen, wahrscheinlich in dieselben, in denen er alles am Vortag herbeigeschafft hatte. Ohne Richards Fotos und mit abgeschaltetem elektronischem Fenster sah das Büro kahl aus.
»Ich habe die Nachricht gesehen, die Sie über E-Mail rausgegeben haben«, sagte David. »Ich glaube, Sie haben den richtigen Ton getroffen.«
»Danke.«
»Aber vielleicht hätten Sie erst mit mir sprechen sollen. Wie Sie wissen, gehören die Kunden in meinen Zuständigkeitsbereich.« Er lächelte
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