Tödliche Aktien
waren noch tiefer und schwärzer geworden, das Haar stand ihm wirr vom Kopf, und das Hemd hing ihm aus der Hose.
»Rachel?«
»Ja?« Sie sah mir herausfordernd in die Augen, offenbar auf weitere Fragen zum Projekt Plattform gefaßt.
Das hatte Zeit.
»Ich würde mich gern ein bißchen mit den Grundlagen des Programmierens und der Virtuellen Realität vertraut machen«, sagte ich.
»Ach ja«, sagte Rachel und versuchte, ein Lächeln zu unterdrücken. Es fiel mir nicht leicht, sie zu bitten. Aber ich wußte, daß es viele Manager in der Computerbranche gab, die kaum etwas über die Arbeitsweise von Computern und ihre Programmierung wußten. Ich wollte nicht zu ihnen gehören und war dafür auch bereit, am Anfang die eine oder andere Demütigung hinzunehmen.
Sie sah sich in dem Raum um. »Diese Leute beschäftigen sich seit vielen Jahren mit dem Schreiben von Programmen. Das läßt sich nicht an einem verregneten Wochenende lernen.«
»Das weiß ich«, sagte ich. »Aber es muß doch irgendwelche Bücher geben, die ich lesen kann. Wie man die Arbeitsabläufe beim Programmieren organisiert, was möglich ist, was nicht. Solche Dinge. Außerdem würden mich alle Hintergrundinformationen über Virtuelle Realität interessieren.«
Skeptisch blickte sie mich an. »Meinen Sie das wirklich ernst?«
»Ja, es ist wichtig.«
Sie überlegte einen Augenblick. Dann nahm sie zwei Bücher vom Regal: »The Art of Computer Programming« von Knuth und »Virtual Reality Now« von Larry Stevens. »Fangen Sie mit denen an. Wenn Sie die durchhaben, sehen wir weiter.«
Es war merkwürdig. Seit ich vierzehn war – wenn es nicht schon früher begonnen hatte –, weigerte ich mich hartnäckig, das geringste Interesse an Mathematik oder Computern zu zeigen. Das war etwas für Computerfreaks, Besessene wie meinen Vater und meinen Bruder. Klar, ich hatte den Umgang mit Tabellenkalkulationen gelernt, aber nur, weil man das als Trader brauchte. Doch an diesem Abend sprachen die Bücher, die Rachel mir gegeben hatte, Teile meines Gehirns an, von denen ich noch nicht einmal gewußt hatte, daß sie vorhanden waren. Ich beschloß, mir von Rachel einen Computer und ein paar Programme auszuleihen, um das Programmieren konkret auszuprobieren.
David hielt Wort, und so konnte ich am nächsten Morgen in Richards Büro einziehen. Ich hängte die Fotos der VR-Prototypen wieder an die Wand und fand heraus, wie man das elektronische Fenster einschaltete. Es zeigte den Blick auf den Firth of Forth von Kirkhaven aus. Im Osten war die Isle of May mit ihren beiden Leuchttürmen deutlich zu erkennen. Kleine Fischkutter tuckerten in der sanften Dünung zum Hafen hinein und hinaus. Im Laufe des Vormittags sah ich die Sonne von links nach rechts über das Meer wandern. Der Anblick gefiel mir, und ich beschloß, das Fenster zu behalten.
Ich sah mich im Büro um. Klein, aber mein. Noch nie hatte ich ein eigenes Büro gehabt. Zugegeben, ein bißchen eingeengt und allein kam ich mir schon vor. Ich war daran gewöhnt, daß ich hundert Menschen im Blickfeld hatte. Ein oder zwei Minuten ging ich auf und ab, dann öffnete sich die Tür.
Susan, Richards Sekretärin, jetzt für mich zuständig, kam herein. Sie war um die Dreißig, hatte braune Dauerwellen und eine mütterliche Ausstrahlung. »Möchten Sie eine Tasse Tee oder etwas anderes?«
Da ich den größten Teil meines Arbeitslebens in einem Handelssaal verbracht hatte, in dem Sekretärinnen ein eher seltener Anblick sind, war ich es nicht gewohnt, bedient zu werden. »Nein, warten Sie, ich hole Ihnen einen.«
Am Ende machten wir uns beide auf den Weg zum Teeautomaten.
»Es tut gut, daß da wieder jemand im Büro sitzt«, meinte Susan auf dem Rückweg. »Vor allem, wenn es Richards Bruder ist.«
»Waren Sie schon lange für ihn tätig?«
»Drei Jahre. Er war ein angenehmer Chef, wenn er auch viel zuviel gearbeitet hat.«
»Das scheint hier allgemein üblich zu sein«, sagte ich.
»Ja, aber alle tun es aus eigenem Antrieb.«
»Fehlt er Ihnen?«
»Ja«, sagte sie und biß sich auf die Unterlippe. »Sein Tod hat eine schreckliche Lücke hinterlassen. Wissen Sie, seine Persönlichkeit war einfach überall spürbar, er war der gute Geist des Werkes.«
»Ich weiß, daß ich ihn nicht ersetzen kann«, sagte ich, »aber ich werde mein Bestes tun, für das Unternehmen und seine Mitarbeiter. Um seinetwillen.«
»Das werden Sie bestimmt. Sie haben viel Ähnlichkeit mit ihm«, sagte Susan, mich von oben bis unten
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