Tödliche Beute
erklärte der Kapitän. »In zirka fünf Minuten wollen sie hier sein.«
»Das wird aber auch
Zeit
«, sagte Becker.
Wie sein Kollege auf der
Leif Eriksson
war auch Kapitän Larsen hoch gewachsen, blond und mit kantigem Profil.
»Bei aller Fairness«, sagte er. »Der Kreuzer ist erst vor kurzem gesunken. Die Einsatzgruppe der NATO hätte mindestens
zweiundsiebzig
Stunden benötigt, bis ein Schiff mit Bergungsmannschaft und geeignetem Gerät vor Ort gewesen wäre. Die Leute von der NUMA sind ihrem Ruf gerecht geworden, es innerhalb von acht Stunden zu schaffen. Sie verdienen etwas Nachsicht.«
»Ich weiß, ich
weiß
«, sagte Becker, der eher verzweifelt als wirklich wütend war. »Ich will ja auch gar nicht undankbar sein, aber es zählt jede Minute.« Er schnippte den Zigarettenstummel ins Wasser und steckte die Hände noch tiefer in die Taschen. »Zu schade, dass Dänemark die Todesstrafe abgeschafft hat«, schäumte er. »Ich würde diese ganze blutrünstige SOS-Bande liebend gern am Ende eines Stricks baumeln sehen.«
»Sind Sie sicher, dass es ein absichtliches Rammmanöver war?«
»Da besteht nicht der geringste Zweifel! Die haben ihren Kurs geändert und sind direkt auf uns zugefahren.
Zack!
Wie ein Torpedo.« Er schaute auf die Uhr. »Haben die Amerikaner tatsächlich fünf Minuten gesagt? Ich sehe nirgendwo ein Schiff kommen.«
»Das ist sonderbar«, sagte der Kapitän, hob das Fernglas und suchte den Horizont ab. »Ich kann auch nichts entdecken.« Dann vernahm er ein Geräusch und richtete die Linsen auf den bedeckten Himmel. »Moment. Da kommt ein Hubschrauber, und zwar mächtig schnell.«
Der winzige Punkt wurde vor dem Hintergrund der schiefergrauen Wolkendecke rasch größer, und bald darauf war das Knattern des Rotors deutlich zu hören. Der Helikopter hielt genau auf die
Thor
zu, überquerte sie fast auf Höhe der Funkmasten, flog eine Kehre und beschrieb einen großen Kreis um das Forschungsschiff. Die Buchstaben
NUMA
auf dem Rumpf des türkisfarbenen Bell 212 waren nicht zu übersehen.
Der Erste Offizier kam herbeigelaufen und deutete auf die kreisende Maschine. »Das sind die Amerikaner. Sie bitten um Landeerlaubnis.«
»Erteilt«, sagte der Kapitän. Sein Offizier gab die Anweisung über ein kleines Funksprechgerät weiter. Der Hubschrauber flog heran, schwebte über dem Achterdeck, sank wie in Zeitlupe nach unten und setzte sanft in der Mitte der weißen Markierung auf, die den Landeplatz kennzeichnete.
Die Tür öffnete sich. Zwei Männer liefen unter dem kreisenden Rotor hindurch und weiter über das Deck. Als Politiker war Becker es gewohnt, Menschen sorgfältig zu beobachten. Die beiden Männer bewegten sich so lässig, wie es ihm schon öfter bei Amerikanern aufgefallen war, aber ihr entschlossener Schritt und die straffe Körperhaltung verrieten absolutes Selbstvertrauen.
Der breitschultrige Mann, der voranging, war etwa einen Meter fünfundachtzig groß und wog ungefähr neunzig Kilo. Sein Haar schimmerte grau, aber als er näher kam, konnte Becker sehen, dass er vermutlich nicht älter als vierzig war. Sein dunkelhäutiger Begleiter war etwas kleiner, jünger und schmaler. Er bewegte sich mit der Anmut einer Raubkatze; es hätte Becker nicht überrascht zu erfahren, dass er sich sein Studium als Mittelgewichtsboxer finanziert hatte. Seine Bewegungen wirkten locker und federnd, aber stets voller Energie.
Der Kapitän trat vor, um die Neuankömmlinge zu begrüßen. »Willkommen auf der
Thor
«, sagte er.
»Vielen Dank. Ich bin Kurt Austin von der National Underwater and Marine Agency«, sagte der stämmige Mann, der aussah, als könne er durch eine Mauer marschieren.
»Und das ist mein Partner Joe Zavala.« Er bedachte erst den Kapitän und dann Becker mit einem kräftigen Händedruck, der dem Politiker fast die Tränen in die Augen trieb. Zavala pulverisierte die Knochen, die Austin versehentlich heil gelassen hatte.
»Sie waren sehr schnell«, sagte der Kapitän.
»Wir liegen ein paar Minuten hinter dem Zeitplan zurück«, erwiderte Austin. »Die Logistik war recht kompliziert.«
»Schon in Ordnung. Gott sei Dank, dass Sie gekommen sind!«, sagte Becker und rieb sich die Hand. Er blickte zum Helikopter. »Wo ist das Bergungsteam?«
Austin und Zavala sahen sich belustigt an. »Es steht vor Ihnen«, sagte Kurt.
Beckers Verwunderung wich kaum verhohlenem Zorn.
Er wirbelte herum und wandte sich an Larsen. »Wie, in Gottes Namen, sollen diese beiden
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