Tödliche Beute
»Mike, ich möchte Sie gern mit meinem Mann Paul bekannt machen.«
Neals Blick wanderte an Trouts mehr als zwei Meter hoher Gestalt empor, und alle Tagträume hinsichtlich Gamay lösten sich schlagartig auf. Aber er war ein praktisch denkender Mann – Geschäft blieb Geschäft. »Es freut mich, Sie kennen zu lernen«, sagte er. Sie gaben sich die Hand.
»Mike hat sich einverstanden erklärt, uns in seinem Boot mitzunehmen und uns ein paar ungewöhnliche Fische zu zeigen«, sagte Gamay.
»Wir können in einer Stunde aufbrechen«, erklärte Neal.
»So bleibt Ihnen genug Zeit für Ihr Mittagessen. Wir sehen uns dann drüben beim Boot.« Er stand auf und wollte gehen.
»Sollen wir etwas mitbringen?«, fragte Paul.
»Nein«, erwiderte Neal. Nach ein paar Schritten hielt er inne. »Wie war’s mit einer Elefantenbüchse?« Als er die verwirrten Mienen der Trouts sah, brach er in schallendes Gelächter aus. Draußen lachte er immer noch. Sie konnten es durch die geschlossene Tür hören.
12
Mit seiner langen Tabakspfeife, dem löchrigen Gebiss und dem wettergegerbten Gesicht wirkte der alte Eric wie ein Seebär aus Rudyard Kiplings Roman
Fischerjungs
. Laut Pia sprach der einstige Fischer englisch und kannte die hiesigen Gewässer besser als jeder andere. Er war mittlerweile zu alt, um noch selbst rauszufahren, und erledigte allerlei Hilfsarbeiten am Pier. Trotz seines grimmigen Gesichtsausdrucks wurde er sofort sehr zugänglich, als Kurt ihm Pias Namen nannte.
Austin hatte sich früh am Morgen zum Fischerpier begeben, um sich über die örtlichen Wetter- und Meeresbedingungen zu informieren. Die Abgase der kleinen Bootsflotte von Skaalshavn hingen wie eine violettblaue Dunstglocke in der feuchten Luft. Fischer in Ölzeug und Stiefeln stapften durch den Nieselregen und luden für den Tag auf See Eimer voller Köder und Körbe mit aufgerollten Schleppleinen in die Kutter. Kurt erzählte dem alten Seemann, er wolle mit Professor Jorgensens Boot zum Angeln rausfahren.
Eric musterte die tief hängenden grauen Wolken und schürzte nachdenklich die Lippen. »Es hört bald auf zu regnen, und die Sonne vertreibt den Nebel.« Er deutete auf eine hohe Felssäule an der Hafeneinfahrt. »Am besten biegen Sie dort nach steuerbord ab und bleiben ungefähr eine Meile auf Kurs. Da sind gute Fischgründe. Gegen Mittag kommt Wind auf, aber das Boot des Professors hält was aus. Ich muss es wissen«, erklärte er grinsend.
»Immerhin hab ich sie gebaut. Sie wird Sie heil wieder nach Hause bringen.«
»Wie gut sind die Chancen, wenn ich der Küste links entlang folge?«
Der alte Fischer rümpfte die Nase. »Rund um die Fischzucht ist praktisch nichts mehr los. Außerdem würde die Rückfahrt ziemlich nass, denn Sie kämen bei ablaufender Flut wieder rein.«
Austin bedankte sich für die Ratschläge, verstaute sein Proviantpaket und das Angelzeug im Boot, überprüfte den Spritvorrat und durchlüftete die Bilge. Der Innenbordmotor sprang sofort an und lief schon nach kurzer Zeit ruhig und gleichmäßig. Austin machte die Leinen los, stieß sich vom Pier ab und richtete den Bug auf die sechzig Meter hohe schornsteinförmige Felsformation, die wie eine steinerne Wasserhose an der Hafeneinfahrt aufragte. Dort bog er nach links anstatt nach rechts ab und hoffte, der alte Eric würde ihn nicht sehen.
Bald darauf passierte das Boot die turmhohen Klippen, wo Tausende von Seevögeln wie vom Wind verwirbeltes Konfetti über ihren Nistplätzen schwebten. Der Motor schnurrte wie ein zufriedenes Kätzchen. Es herrschte leichter Wellengang, aber der Doppelender schnitt wie ein Messer durch die Wogen. Hin und wieder sprühte Gischt über den Bug, aber Austin hatte das gelbe Ölzeug und die Stiefel aus dem Stauraum des Boots übergezogen und blieb warm und trocken.
Die hohen Felswände am Ufer gingen in eine Reihe zerklüfteter Vorsprünge und flacher Hügel über, bevor sie kurz vor dem alten Hafen bis auf Meereshöhe abfielen.
Andere Boote konnte Austin nicht entdecken. Die einheimischen Fischer konzentrierten sich auf die ergiebigeren Fanggebiete in entgegengesetzter Richtung.
Erst als Kurt eine Landspitze umrundete, bemerkte er, dass er nicht allein war.
Die blaue spanische Jacht, die ihm am Vortag in Skaalshavn aufgefallen war, ankerte einen knappen Kilometer vor der Küste. Das elegante Schiff war mehr als sechzig Meter lang. Sein flaches und klares Profil deutete darauf hin, dass man es sowohl auf Geschwindigkeit als auch auf
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