Toedliche Blumen
noch nicht so lange dem Dezernat für Gewaltverbrechen an und befand sich in der angenehmen Phase, in der man als Polizist nahezu jeden Auftrag spannend fand.
Louise legte sich wieder ins Bett, hatte jedoch große Mühe, wieder einzuschlafen. Sie lag da und starrte in die Dunkelheit und überlegte, ob ihre Kollegen sich wohl bei ihr melden würden, war jedoch realistisch genug, um einzusehen, dass diese vermutlich Wichtigeres zu tun hatten, als die Mutter ihrer Abteilung telefonisch zu wecken und über den neuesten Stand der Dinge in Kenntnis zu setzen.
Sie fröstelte. Ihr fiel auf, dass sie seit langem nicht mehr eine Nacht zusammenhängend oder erholsam geschlafen hatte. Es schien ihr, als hätte sich ihr Körper zu einem Teil abgeschaltet, während ihr Herz vor lauter Aufregung wie verrückt schlug.
Sie rollte sich auf die Seite und versuchte zur Ruhe zu kommen und ihr ganzes Elend zu verdrängen. Doch stattdessen stieg die Bitterkeit zusammen mit dem schalen Gefühl, vollständig außen vor zu sein, in ihr auf und machte sich breit. Ungefähr in der Art, wie sie es als Kind erlebt hatte, wenn sie krank war und drinnen bleiben musste, während ihre Freunde draußen waren, wo sich das Leben ohne sie abspielte.
Langsam döste sie weg. Wachte jedoch mit einem Ruck von selbst wieder auf. Drei Stunden waren vergangen. Keiner hatte angerufen, und sie sah schließlich ein, dass sich mitten in der Nacht auch niemand mehr bei ihr melden würde. Sie versuchte, dem aufkommenden Bedürfnis, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, zu widerstehen, konnte sich aber schließlich nicht zurückhalten und wählte Peter Bergs Nummer. Er würde am wenigsten irritiert sein.
»Völlig unglaublich«, begann er müde und gleichzeitig mit einem Eifer in der Stimme seinen Bericht, der bewirkte, dass Louise sich noch mehr außen vor fühlte. »Sie haben das Auto in der Nähe von Norrköping stoppen können. Irgendein Typ in einem Kaff in der Gegend hat die Suchmeldung gehört und beobachtet, wie der Fahrer des Wagens an einer ansonsten völlig verlassenen Tankstelle tankte. Er wurde sofort misstrauisch, prägte sich das Nummernschild ein und stellte fest, dass es der Beschreibung im Radio entsprach. Daraufhin alarmierte er die Polizei, die gerade noch rechtzeitig einen Nagelteppich auf der Strecke nach Stockholm auslegen konnte.«
Louise verzog in ihrer Einsamkeit den Mund. Verdammt! Sie hatte wirklich den besten Job der Welt, auch wenn sie im Moment nicht mit von der Partie sein konnte.
»Und die Frau?«, wollte sie wissen.
»Wir haben sie noch nicht finden können, aber sowohl Leute auf ihre Wohnung in Kristineberg als auch auf das Haus ihres Vaters angesetzt. Wir warten einfach, bis sie auftaucht.«
»Ja, sie wird schon kommen.«
Louise ging ins Bad und nahm eine halbe Schlaftablette. Wenn sie schon nicht im Einsatz war, hielt sie es doch zumindest für angebracht, in den verbleibenden Stunden wenigstens zu versuchen, ein wenig Schlaf nachzuholen. Sie strich das Laken glatt, ihre Daunendecke fühlte sich leicht an, und das Kopfkissen war angenehm kühl. Sachte glitt sie in einen Schlummerzustand.
Genau im Übergang zwischen Wachsein und Traum lief ein grobkörniger, zerkratzter Schwarzweißfilm vor ihren Augen ab, geriet dann jedoch ins Stocken, woraufhin die betreffende Sequenz irritierenderweise noch einmal gezeigt wurde. Aber sie begriff sowieso nichts. Immer wieder wurde dieselbe Stelle abgespult.
Ein Innenhof aus der Perspektive vom Boden aus. Kein Mensch weit und breit. Graublaue Dämmerung. Feucht glänzendes Kopfsteinpflaster im gelben Schein eines Fensters. Leere. Völlige Stille. Keine Geräusche, weder der schwache Frühlingswind in den noch kahlen Baumkronen noch Verkehrsgeräusche von ferne oder Wasser, das in den Abflussrohren rauscht, oder das kaum hörbare Weinen eines Kindes, das Trost sucht. Einzig ein Mensch, eine unruhige Seele, die sich nur als Schatten abzeichnet, hebt voller Zorn einen Arm, in dessen Verlängerung eine Hand einen Griff umklammert, sodass die Fingerknöchel weiß werden, und lässt seiner Raserei freien Lauf. Tut, was niemals wieder gutgemacht werden kann. Hämmert und schlägt. Wieder und wieder. Hämmert seinem Gegenüber den Verstand aus dem Kopf. Ergötzt sich an dem Schreck in den Augen des anderen.
ZWÖLFTES KAPITEL
Mittwoch, 24. April
A lle Handys und anderen Störfaktoren waren abgestellt oder entfernt worden. Die Tür war geschlossen. Louise Jasinski hatte sich sorgfältig
Weitere Kostenlose Bücher