Tödliche Ernte
dieser Art an meinen Dad.
Sie waren beide von dieser Erde verschwunden. Für immer.
Ich schluchzte laut auf. Die Ampel sprang auf Grün, und ich heulte, während um mich herum ein Hupkonzert ausbrach und Leute schimpften. Aber das machte nichts. Das machte überhaupt nichts.
4
Als ich endlich zurück ins Büro kam, befahl ich mir zum wiederholten Mal, nicht selbst durchzudrehen. Ich musste Dellas Leiche finden und unter die Erde bringen. Ich musste Chesas Beerdigung organisieren. Und ich musste Blessing finden. Warum hatte er Chesa umgebracht? Warum?
Verflucht. Ich hatte das einfach schon zu oft durchgemacht.
Ich ging mit Penny nach draußen, was dringend nötig war, und rief dann das Krankenhaus an. Dr. Rutledge hatte immer noch keinen Dienst. Als ich Dellas Arzt die Nachricht hinterließ, mich bitte zurückzurufen, ließ ich die Verzweiflung in meiner Stimme hören. Ich fürchtete mich davor, der Gruppe nächste Woche gegenüberzutreten. Sie würden sich alle schuldig fühlen, was falsch war. Nichts hatte darauf hingewiesen, dass Roland Blessing so ausflippen würde.
Aber ich konnte nicht anders. Auch ich fühlte mich schuldig.
Ich ging bei Kranaks Büro vorbei – vielleicht hatte er ja Neuigkeiten über Blessing, oder man hatte Dellas Überreste gefunden oder von McArdle gehört. Zu meinem Pech war Kranak unterwegs zu einem Fall.
Frustriert von all dem und mit dem Gefühl totaler Ohnmacht versuchte ich es bei John Strabo, einem unserer Leichenbeschauer. Er war nicht im Büro, also machte ich mich auf die Suche nach ihm. Ich öffnete die Flügeltür zur Leichenhalle und stieß prompt mit Dr. Tom Fogarty zusammen.
»Verdammt!« Er rieb sich die vom Schönheitschirurgen gerichtete Nase, mit der er gegen mich gerannt war. »Warum können Sie sich nicht einfach von unserer Abteilung fernhalten?«
»Und warum können Sie sich immer nur wie ein Trottel benehmen? Haben Sie Strabo gesehen?«
»Hat gerade mit einer Obduktion angefangen. Und jetzt entschuldigen Sie mich.« Fogarty wollte zur Tür.
»Wo bekomme ich wohl Auskunft über eine Frau um die dreißig, die vor einigen Tagen im Krankenhaus an Unterkühlung gestorben ist?«
Er schnitt eine Grimasse. »In der Regel sterben die Leute im Krankenhaus nicht an Unterkühlung.«
Ich beherrschte mich mühsam. »Die Unterkühlung hat sich die Frau draußen auf der Straße zugezogen, gestorben ist sie im Krankenhaus.«
Er verdrehte die Augen. »Für so was habe ich keine Zeit.« Er drängte sich an mir vorbei.
Ich folgte ihm. »Antworten Sie mir einfach. Oder ist das zu viel für Sie?«
»Sie erinnern sich vielleicht noch, wie man die Treppe hinauf zum Archiv kommt, richtig?«
»Danke für den Hinweis. Aber sie war nicht hier.«
Er seufzte in gespielter Verzweiflung. »Natürlich war sie das. Wenn sie dreißig war und an Unterkühlung gestorben ist, ob nun im Krankenhaus oder nicht, dann ist sie auf jeden Fall zur Obduktion hierhergekommen. Punkt. Ende der Diskussion, obwohl man das hier kaum so nennen kann, nicht wahr?«
Fluchend und grummelnd entfernte er sich.
Ich blieb zurück und verwünschte mich. Ich hatte nicht wirklich nachgedacht.
Wenn eine Person, die so jung wie Della war, im Staat Massachusetts stirbt, ist es selbstverständlich, dass sie zur Autopsie in den Kummerladen kommt. Warum also hatte Rutledge sie nicht überstellt?
Aber vielleicht hatte er das ja.
Doch als ich im Archivraum die Eingänge der letzten zwei Wochen kontrollierte, tauchte Dellas Name nicht auf. Und sie passte auch nicht auf die Beschreibung der namenlosen Leichen aus der letzten Zeit.
Was zum Teufel trieb dieser Rutledge?
Ich rief Veda an, die versprach, mir einen direkten Kontakt ins Krankenhaus zu Rutledge zu verschaffen. Vor dem Auflegen sagte sie noch: »Heute Morgen hat mir dein Freund … Sergeant Kranak alles erzählt. Schrecklich. Wenn du mich brauchst, du weißt, ich bin hier. Vielleicht solltest du auch mal eine Auszeit nehmen. Das könnte helfen.«
»Wobei helfen?«
»Bei deinem Geisteszustand.«
Ihre abschließende Bemerkung hing in der Luft wie ein ranziges Parfüm.
Ich ließ mich aufs Sofa plumpsen. Meine Gefühle glichen scharfen Glassplittern.
Geisteszustand, meine Herren. Ich griff nach einem Stift, doch meine Hand streifte Dads Meerschaumpfeife.
Daddy, wie er seine Wetterjacke zuknöpft, mir zum Abschied munter winkt und aus der Tür geht. Und dann der kaputte Daddy, das linke Bein eigenartig verdreht, die Finger an der rechten Hand fehlen,
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