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Tödliche Ewigkeit

Tödliche Ewigkeit

Titel: Tödliche Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Marquet
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nichts Persönliches. Sie sind mir sehr sympathisch. Es ist der Meister.«
    »Der Meister?«
    Der Verrückte schloss für einige Sekunden die Augen, als lausche er einer Stimme in seinem Innern. Anfang dreißig, das Haar allzu sorgfältig gekämmt mit einem Seitenscheitel, weiß vom ständigen Nachziehen. Auf seinem Gesicht lag stets ein Ausdruck von leicht irrer Leutseligkeit.
    »Er sagt mir, dass es von größter Wichtigkeit ist. Aber leider kann ich es nicht.«
    »Ach, wirklich?«
    »Ich bräuchte ein Messer. Hier gibt man uns keine Messer.«
    »Vielleicht wegen solchen Verrückten wie dir.«
    »Ich bin nicht verrückt. Diese Stimme ist ganz und gar real. Ich habe an der Universität studiert, müssen Sie wissen.«
    »Donnerwetter.«
    »Ich habe eine Theorie. Eine genetische Veränderung hat die Wahrnehmungsfähigkeit der Menschheit verkümmern lassen. Leider ist heute die Mehrheit der Menschen außerstande, die andere Seite der Dinge zu erfassen.«
    »Die andere Seite?«
    »Deshalb bezeichnen sie diejenigen, die noch nicht degeneriert sind, als verrückt. Und deshalb hat man uns eingesperrt. Interessant, was?«
    »Sehr. Und jetzt lässt du mich in Ruhe, okay?«
    Der andere blickte plötzlich verängstigt drein. Er packte Jeff am Ärmel.
    »Ich habe solche Angst, es zu vergessen. Sie erinnern mich dran, ja?«
    »Woran denn?«
    »Dass ich Ihnen die Kehle durchschneiden muss.«
    »Lass den Herrn doch in Frieden, Colbert«, sagte jetzt eine andere Stimme.
    Es war der Prediger. Dieser hochgewachsene dürre Typ mit grauem Haar, der seine metaphysischen Weisheiten ständig an den Mann zu bringen versuchte, schien sich für ein Mitglied des Pflegepersonals zu halten. Mit einer gebieterischen Geste schob er Jeff beiseite, nahm den anderen bei der Schulter und begann ihm Sätze ins Ohr zu flüstern, die ihn offenbar sogleich beruhigten. Jeff ließ sie stehen und ging durch den Garten zum Hauptgebäude. Er brauchte Ruhe, und die würde er hier draußen nicht finden. Er ging in sein Zimmer und streckte sich auf der harten Matratze seines Eisenbettes aus.
    Obwohl er erst vor einer Woche eingewiesen worden war, hatte er schon jetzt genug von all den Verrückten. Denn das »Sanatorium«, von dem Lieutenant Woodruff gesprochen hatte, war in Wirklichkeit eine echte Irrenanstalt.
    Bei seiner Ankunft war er von dem leitenden Arzt empfangen worden, einem gewissen Morrow. Er hatte ihm seine Klinik als fortschrittliche Einrichtung präsentiert:
    »Stoßen Sie sich nicht an der Gesellschaft von Patienten, die Ihnen etwas … seltsam erscheinen mögen. Es handelt sich um neue Methoden. Die Trennung geisteskrank – normal ist überholt, verstehen Sie? Was ist schon normal? Wir wissen es nicht. Die Grundidee ist: Wenn wir die wirklichen Psychopathen, statt sie zu isolieren, mit ›normalen‹ Personen« – er malte zwei Gänsefüßchen in die Luft – »zusammenbringen, werden Erstere leichter wieder ›normal‹.«
    Eine Woche später fragte sich Mulligan, ob eine solche Vermischung nicht eher dazu führte, dass die verhältnismäßig Normalen in dieser Klinik verrückt wurden. Lag es an den ständigen Unterhaltungen mit manisch Kranken, die von ihren Zwangsvorstellungen gequält wurden? Oder an den ihm täglich verabreichten Medikamenten, die seine geistigen Fähigkeiten deutlich beeinträchtigten? Mulligan hatte jedenfalls den Eindruck, dass ihm der Boden seiner früheren Gewissheiten unter den Füßen weggezogen wurde. Hatte er geträumt an jenem Morgen, als er Lucie zu einer Stunde gesehen hatte, zu der sie schon tot gewesen sein musste? Hatte der Mord an Fletcher, der keine Spuren hinterlassen hatte, wirklich stattgefunden? Woher rührte seine Besessenheit von dem Mordopfer, die ihm inzwischen unverständlich und unwirklich schien? Und würde er eines Tages seine Dienstmarke wieder zurückbekommen?
    Dafür musste er gesund werden, hatte Woodruff gesagt.
    War er wirklich krank?
    Denn eine letzte Frage ließ ihn nicht los: Trug Dr. Morrow seine kleine Empfangsrede – dass er, der ja normal war, sich nicht über die Irren wundern sollte – vielleicht jedem Neuzugang vor? Schließlich hatte Jeff seine medizinische Akte nicht einsehen dürfen. Vielleicht war er in den Augen aller hier ebenso verrückt wie die anderen …
    Die ganze Situation hatte nur einen Vorteil: Seitdem er behandelt wurde, war er weniger von Lucie besessen. Tag und Nacht in einem Zustand leichter Benommenheit, litt er praktisch nicht mehr.
    In seine

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