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Tödliche Ewigkeit

Tödliche Ewigkeit

Titel: Tödliche Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Marquet
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das Murmeln der leichten Brise hoben sich wohltuend von der Stille ab, die aus den Tiefen seiner Seele aufzusteigen schien. Er fühlte sich gut. Kannte Lucie solche Zustände des Wohlbehagens, nachdem sie so vertraut mit der Bergwelt war? Ihre Lebensfreude kam Jeff plötzlich weniger fremd vor. War er imstande, selbst so etwas zu empfinden? In einer Umgebung wie dieser hier erschien es ihm weniger schwer. Hier galt es nicht, ein Ziel zu verfolgen, irgendetwas anzustreben – es genügte, einfach da zu sein und die Schönheiten der unberührten Natur fernab vom menschlichen Chaos in sich aufzunehmen.
    Er vergaß, warum er hierhergekommen war, und lehnte sich an einen Baum. Sein Körper war entspannt. Sein Blick schweifte über die schneebedeckten Berggipfel und folgte dem Flug eines Raubvogels, der seine Kreise am blauen Himmel zog. Dabei überließ er sich ganz seinen Empfindungen.
    Das Gefühl der Ruhe war derart tief, dass er bald spürte, wie sein Körper schwerer wurde, sein Kinn langsam auf seine Brust sank. Kaum konnte er noch die Augen offen halten. Sein Kopf fiel leicht nach vorne. Traumbilder legten sich über die Schönheiten der Gebirgslandschaft.
    Er ist zehn Jahre alt. Nach einer ausgedehnten Wanderung durch den Wald setzt er sich an den weißen Stamm einer Birke. Sein keuchender Atem vermischt sich mit der Brise, die seine Haut erfrischt. Er spürt nicht mehr die Grenzen seines Körpers und verschmilzt mit dem Baum. Er ist eins mit allem, endlos glücklich in einem Moment der Ewigkeit. Und dann …
    Jeff zuckte zusammen und schlug die Augen auf. Voller Verwunderung versuchte er seine tauben Glieder zu bewegen. Für gewöhnlich hatte er nie Erinnerungen an seine Kindheit. Seine frühen Jahre waren immer in einen dichten Nebel eingehüllt gewesen … Merkwürdigerweise hinterließ diese Vision keine friedliche Stimmung. Vielmehr fühlte er sich bedrückt. Er stand auf, machte ein paar Schritte. Er musste seinen Weg fortsetzen.
    Hinter einer Biegung des Pfades tauchte der Flattop Mountain auf, den ewiger Schnee bedeckte. Laut seiner Karte musste er jenseits der markierten Pfade zum Gipfel des Red Dirt Pass aufsteigen. Die Hänge waren mit Wildblumen übersät, und bald war Jeff von Mückenschwärmen umgeben, die er vergebens zu verscheuchen suchte. Nach seinen Informationen war dies die Route, die Steve Buchanan eingeschlagen hatte oder wenigstens hatte einschlagen wollen. Bald ließ er die Baumgrenze hinter sich. Ohne die geringste Ermüdung setzte er seinen Aufstieg fort, machte einen Bogen um ein Schneefeld und erreichte schließlich den Red Dirt Pass.
    Von hier aus konnte er die gesamte Bergkette überschauen. Er stand da, lauschte auf seinen Atem und genoss die völlige Einsamkeit.
    Während seiner ganzen Wanderung war er keiner Menschenseele begegnet.
    Als er sich darauf besann, weshalb er sich überhaupt in den Rocky Mountains befand, überkam ihn eine tiefe Niedergeschlagenheit. Es gab keine Chance, hier auch nur das geringste Indiz zu finden. Steve Buchanan war vor über drei Monaten verschwunden, seine Leiche wurde nie gefunden, und das war auch nicht weiter verwunderlich. Das Gebirge war mit schmalen Tälern und Schluchten übersät … Ein idealer Ort, um Selbstmord zu begehen. Man konnte Medikamente schlucken und sicher sein, nicht vorzeitig gefunden zu werden.
    »Ein idealer Ort, um eine Leiche verschwinden zu lassen«, sagte eine Stimme in seinem Kopf. »Und einen Unfall vorzutäuschen.«
    Wenn es eine Verbindung zwischen dem Tod von Steve und dem Mord an Lucie gab, so konnte Steve natürlich genauso gut umgebracht worden sein.
    Was nützte ihm das … Er hatte nichts in der Hand.
    Für seinen kleinen Spaziergang auf den Spuren von Lucies Verlobtem gab es keinen rationalen Grund. Er musste den Tatsachen ins Auge blicken: Er war durchgedreht und hatte seine Laufbahn als Cop zerstört. Was sollte er fortan tun? Privatdetektiv werden? Seine Tage damit verbringen, untreuen Ehemännern oder -frauen nachzuspüren? Sehr wenig verlockend für ihn. Für viele der unteren Dienstgrade brachte es durchaus Vorteile, wenn sie zu privaten Sicherheitsdiensten wechselten. Doch die korrupten Superreichen zu beschützen interessierte ihn genauso wenig. Wenn er nicht mehr Cop sein konnte, hatte sein Leben keinen Sinn mehr.
    Er stieg wieder hinab zur Baumgrenze, wobei er bisweilen auf dem Geröll ausrutschte. Auf dem Pfad, der ihn zum Gold Creek Lake zurückführte, kamen ihm die ersten Wanderer

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