Tödliche Feindschaft
nächsten. Der Berg des ewigen Schnees wird ihr ständiger Wegweiser sein. Er wird sie mit magischer Gewalt anziehen. Es gibt für einen Fremden nichts Schlimmeres, als ein ungeklärtes Geheimnis. Habe ich nicht recht?« Michel nickte.
In diesem Augenblick betrat ein wunderlich aufgeputzter Mann die Halle. Er hatte die Schwelle des Greisenalters schon längst überschritten. Sein Gesicht war runzlig. Er war mit einem Kostüm aus Vogelfedern bekleidet. Auf dem Kopf saß ein Gegenstand, der aussah wie eine Krone. Sein Mund war zahnlos.
Der König und Maradsche erhoben sich bei seinem Eintreten. Michel und Ojo folgten dem Beispiel.
»Das ist der große Zauberer unseres Volkes«, sagte Aradman. »Wenn er nichts für deinen Freund tun kann, so kann niemand etwas für ihn tun.«
Der Medizinmann wackelte mit dem Kopf. Das einzige an ihm, was sich seine Jugendkraft
bewahrt zu haben schien, waren die flinken kleinen Augen. Sie blieben jetzt auf Tscham haften.
Er streckte den Finger aus und zeigte auf den Jungen.
»Der da?« fragte er.Aradman nickte.
Der Medizinmann kniete neben der Bahre. Er beugte sich ganz dicht über Tschams Gesicht, so, als wolle er ihn küssen. Aber Michel sah, wie er mit starr aufgerissenen Augen in die blutunterlaufenen Tschams sah.
Dann fuhr er dem Jungen ein paarmal mit dem Zeigefinger über das Gesicht. Er hob seine Arme an und ließ sie wieder fallen. Dann richtete er sich auf.
Er blickte den König an und nickte. Sein zahnloser Mund murmelte etwas, was Michel nicht verstand.
Aradman wandte sich an den Pfeifer.
»Der große Zauberer der Wadschagga meint, daß dein Freund in wenigen Tagen wieder gesund
sein wird.«
Jetzt erwachte der Arzt in Michel.
»Wird mir der große Zauberer das Rezept verraten?« fragte er.
Der alte Mann blinzelte ihn listig an. Als er ihn lange genug fixiert hatte, nickte er. Dann wandte er sich wieder an Aradman.
Nach kurzem Gespräch hob Aradman den Arm und deutete auf eine Tür, die dem Eingangsportal gegenüber lag.
»Dein Freund wird dort, in diesem Gemach, seiner Genesung entgegenschlafen, wenn du es
erlaubst«, wandte er sich an Michel.
Michel gab seine Zustimmung.
»Werde ich ihn zwischendurch sehen können?«
»Du hast jederzeit Zutritt zu ihm.«
Michel war zufrieden.
Es entstand eine Pause.
Der Pfeifer, der nun sicher war, daß alles für Tscham getan wurde, was im Bereich des Möglichen lag, dachte
wieder an seine eigentliche Aufgabe. Viel Zeit durfte er nicht mehr verlieren. Er wandte sich an den König :
»Höre, Aradman«, sagte er. »Ich bitte dich, mir eine Matte zuzuweisen, daß ich mich eine Stunde ausruhen kann. Ich bin zu abgespannt, um gleich zu reiten. Was in meinen Kräften steht, will ich tun, damit nie mehr eines anderen Fuß deine schöne Stadt betritt.«
9
Imi Bej war mit seiner Bande bald, nachdem sie den Krokodilfluß überschritten hatten, aufgebrochen.
Über der Kilimandscharo-Niederung hing noch immer der dicke Dunst regenschwerer Wolken. Bis jetzt hatte sich der Berg ihren Blicken noch stets entzogen.
Eingedenk dessen, was Imi Bej bei früherer Gelegenheit mit Ugawambi gesprochen hatte, ritten sie strikt in nordwestlicher Richtung weiter.
Ugawambi tat nichts dazu, die Richtung zu ändern, obwohl er wußte, daß sie jetzt genau nach Norden ziehen mußten, um die Stadt des Königs Aradman zu erreichen.
Der lange Neger ritt am Ende des Zuges. Nachdenklich blickte er vor sich auf den Kopf seines Pferdes. Anfangs hatte er noch die Hoffnung gehabt, daß die Sklavenjäger davor
zurückschrecken würden, den Fluß der Krokodile zu überqueren. Er hatte sich eines Besseren belehren lassen müssen und wußte nun, daß es für Imi Bej keine Hindernisse gab.
So war Ugawambis Hoffnung, daß er doch nicht wortbrüchig zu werden brauchte,
zusammengeschmolzen. Er wußte, daß sie nahe am Ziel waren. Und einmal würde sich der Berg zeigen. Einmal würden die Wolken zerreißen und strahlende Sonne würde den Schnee auf seiner Kuppe glitzern lassen. Daß Imi Bej, stur der jetzigen Richtung folgend, an diesem Berg vorbeiziehen würde, war unwahrscheinlich.
Ugawambi fuhr mit den langen knochigen Fingern durch die Mähne seines Pferdes. In seinem Innern tobte ein wilder Kampf. Gab es keine Rettung für die Wadschagga?
Plötzlich sah er auf. Ein Gedanke durchzuckte sein Hirn. Wie, wenn er sich in der Nacht davonschliche? Wenn er in die Stadt der Wadschagga eilte, um diese zu warnen? Aber würde man ihm glauben? Würde man das Ganze nicht
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