Tödliche Geschäfte
und Operationssäle untergebracht waren. Da er wußte, daß eine Plasmapherese eine lange, jedoch wenig betreuungsintensive Prozedur war, beschloß Sean, Helen Cabot zu finden. Er wollte nicht nur einen Blick auf ihr Krankenblatt werfen, sondern sie auch kurz begrüßen.
Er entdeckte eine Hämatologie-Assistentin, die er an dem Stauschlauch in ihrer Gürtelschlaufe erkannte, und fragte sie, wo es zur Plasmapherese ging. Die Frau führte ihn durch einen Nebenflur und wies auf zwei nebeneinanderliegende Türen. Sean bedankte sich und sah im ersten Zimmer nach, wo ein Mann auf einem Bett lag. Sean entschuldigte sich und öffnete dann die zweite Tür. Selbst von der Schwelle aus erkannte er die Patientin: Es war Helen Cabot.
Sie war allein im Zimmer. Von ihrem Arm liefen Schläuche zu einer Maschine, in der die Lymphozyten isoliert wurden, bevor das Blut wieder in Helens Körper zurückgepumpt wurde.
Helen wandte ihren bandagierten Kopf in Seans Richtung. Sie erkannte ihn sofort und versuchte zu lächeln. Statt dessen füllten sich ihre großen, grünen Augen mit Tränen.
An ihrer Gesichtsfarbe und ihrer allgemeinen Erscheinung erkannte Sean, daß ihr Zustand sich dramatisch verschlechtert hatte. Die Anfälle, die sie erlitten hatte, hatten einen hohen Tribut gefordert.
»Schön, Sie wiederzusehen«, sagte Sean und beugte sich über sie. Er unterdrückte den Drang, sie in den Arm zu nehmen und zu trösten. »Wie geht’s?«
»Es war ziemlich schlimm«, brachte Helen hervor. »Gestern ist eine weitere Biopsie durchgeführt worden. Das war kein Vergnügen. Man hat mich auch gewarnt, daß es noch schlimmer werden könnte, wenn ich mit der Therapie anfange, und das habe ich jetzt. Sie haben gesagt, ich dürfe den Glauben nicht verlieren. Aber das ist verdammt schwer. Meine Kopfschmerzen sind unerträglich geworden. Sogar das Sprechen tut weh.«
»Sie müssen durchhalten«, sagte Sean. »Denken Sie immer dran, daß jeder Medulloblastom-Patient dieser Klinik in die Remission gekommen ist.«
»Das sage ich mir auch immer«, erwiderte Helen.
»Ich werde versuchen, von jetzt an jeden Tag nach Ihnen zu sehen«, versprach Sean. »Nun will ich nur noch rasch einen Blick auf Ihr Krankenblatt werfen. Wo ist es denn?«
»Ich glaube, es liegt im Wartezimmer«, sagte Helen und wies mit der freien Hand auf einen kleinen Nebenraum.
Sean schenkte ihr ein freundliches Lächeln und betrat das angrenzende Zimmer, das ebenfalls eine Tür zum Flur hatte. Auf einem Tresen lag, wonach er suchte: Helens Krankenblatt.
Sean nahm es und ging die Medikationsinformationen durch. Wieder waren ähnliche Medikamente angegeben wie die, die er schon in Martins Krankenblatt gesehen hatte: MB300C und MB303C. Dann blätterte er zum Anfang der Akte zurück und erkannte seinen eigenen Bericht, der als Teil der Überweisungsunterlagen mitgeschickt worden war.
Sean überflog die Seiten, bis er zum aktuellen Stand kam, wo er einen Eintrag über die Biopsie las, die direkt über dem rechten Ohr vorgenommen worden war. Außerdem war noch vermerkt, daß die Patientin die Prozedur gut überstanden habe.
Sean war gerade zu dem Abschnitt mit den Laborergebnissen vorgedrungen, um festzustellen, ob eine Gefrierschnittanalyse vorgenommen worden war, als er gestört wurde. Die Tür zum Flur flog auf und krachte mit solcher Wucht gegen die Wand, daß die Klinke einen Abdruck im Putz hinterließ.
Das Geräusch ließ Sean zusammenfahren. Er warf die Krankenakte auf die Resopaloberfläche des Tresens. Vor ihm stand, den gesamten Türrahmen füllend, die beeindruckende Gestalt von Margaret Richmond. Sean erkannte sie als die leitende Oberschwester wieder, die neulich in Dr. Masons Büro geplatzt war. Die Frau neigte offenbar zu dramatischen Auftritten.
»Was haben Sie hier zu suchen?« wollte sie wissen.
»Und was machen Sie mit der Krankenakte da?« Ihr breites, rundes Gesicht war wutverzerrt.
Sean wollte ihr erst eine schnoddrige Antwort geben, besann sich jedoch eines Besseren.
»Ich habe eine Freundin besucht«, sagte er. »Miss Cabot war in Boston eine Patientin von mir.«
»Sie haben kein Recht, ihre Akte zu lesen«, tobte Ms. Richmond los. »Patientenunterlagen sind grundsätzlich vertraulich und nur dem Patienten und den behandelnden Ärzten zugänglich. Wir nehmen unsere diesbezügliche Verantwortung sehr ernst.«
»Ich bin sicher, die Patientin würde mir den Zugang jederzeit erlauben«, entgegnete Sean. »Vielleicht sollten wir nach nebenan gehen
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