Tödliche Geschäfte
darunter eine Anstellung im Miami General Hospital, fand Harris es merkwürdig, daß ein ausgebildeter Rettungssanitäter sich als Putzhilfe verdingte. Er betrachtete das Bewerbungsphoto. Der Mann hatte braunes Haar. Harris legte Widdicombs Akte auf Wanamakers.
Wieder ein paar Akten später stieß er auf eine weitere Person, die seine Neugier erregte. Ralph Seaver arbeitete im Hausmeisterdienst. Der Mann hatte in Indiana eine Haftstrafe wegen Vergewaltigung verbüßt. Es stand direkt hier in der Akte! Sogar die Telefonnummer seines ehemaligen Bewährungshelfers in Indiana war angegeben. Harris schüttelte den Kopf. Er hatte nicht erwartet, derart fruchtbares Material zu finden. Im Vergleich dazu waren die Personalakten des medizinischen Personals direkt langweilig gewesen. Bis auf ein paar Betäubungsmitteldelikte und eine Anklage wegen Kindesmißhandlung hatte er nichts gefunden, während er bei dieser Gruppe erst ein Viertel der Akten überprüft und schon drei Kandidaten aussortiert hatte, bei denen sich genaueres Hinsehen bestimmt lohnen würde.
Anstatt in ihrer Nachmittagspause in Ruhe eine Tasse Kaffee zu trinken, nahm Janet den Aufzug in den zweiten Stock und besuchte die Intensivstation. Sie hatte großen Respekt vor den Schwestern, die hier Dienst taten. Nach Abschluß ihrer Ausbildung hatte auch sie eine Zeitlang probeweise auf einer Intensivstation gearbeitet. Sie fand die Arbeit zwar sehr anspruchsvoll, hatte aber nach ein paar Wochen entschieden, daß es nichts für sie war. Die Anspannung, die dort herrschte, war ihr viel zu groß, und es gab zu wenig persönlichen Kontakt mit den Patienten. Die meisten von ihnen waren nicht in der Lage, überhaupt zu kommunizieren, etliche waren ohne Bewußtsein.
Janet ging zu Glorias Bett und betrachtete sie. Sie lag noch immer im Koma, und ihr Zustand hatte sich nicht gebessert, obwohl sie weiterhin ohne mechanische Hilfe atmete. Ihre weit dilatierten Pupillen hatten sich nicht verengt und reagierten auch weiterhin nicht auf Lichtimpulse. Am alarmierendsten jedoch war die Tatsache, daß das EEG nur sehr geringe Hirntätigkeit verzeichnete.
Eine Besucherin strich sanft über Glorias Stirn. Sie war etwa dreißig Jahre alt und hatte ähnliche Gesichtszüge wie Gloria. Als Janet aufsah, begegneten sich ihre Blicke.
»Sind Sie eine von Glorias Krankenschwestern?« fragte die Besucherin.
Janet nickte. Sie sah, daß die Frau geweint hatte.
»Ich bin Marie«, stellte sie sich vor. »Glorias ältere Schwester.«
»Es tut mir leid, daß das passiert ist«, sagte Janet.
»Ach«, meinte Marie seufzend, »vielleicht ist es das Beste so. So muß sie wenigstens nicht leiden.«
Janet stimmte Marie aus Rücksicht zu, obwohl sie selbst anders empfand. Gloria hatte noch immer eine Chance gehabt, ihren Brustkrebs zu besiegen, vor allem mit ihrer positiven, optimistischen Haltung. Janet hatte schon Patienten in die Remission gehen sehen, deren Krankheit viel weiter fortgeschritten war.
Janet kämpfte mit den Tränen, als sie in den vierten Stock zurückkehrte. Wieder stürzte sie sich in die Arbeit, weil sie so am ehesten die Gedanken zu vertreiben hoffte, an deren Ende sie doch wieder nur die Ungerechtigkeit der Welt verfluchen würde. Leider funktionierte diese Ablenkung nur zum Teil; immer wieder sah sie Glorias Gesicht vor sich, wie sie sich bei ihr bedankte. Doch dann brauchte Janet keine Ablenkung mehr, weil sich eine neue Tragödie ereignete, die sie völlig überwältigte.
Kurz nach zwei gab sie einem Patienten in einem Zimmer am Ende des Flurs eine intramuskuläre Injektion. Auf dem Rückweg zum Schwesterntresen beschloß sie, kurz bei Helen Cabot vorbeizuschauen.
Etwa eine Stunde, nachdem Janet am Vormittag das codierte Medikament zu Helens Infusionslösung gegeben und die Tropfgeschwindigkeit eingestellt hatte, hatte Helen über Kopfschmerzen geklagt. Besorgt über ihren Zustand, hatte Janet Dr. Mason über diese Entwicklung informiert. Er hatte geraten, die Beschwerden mit möglichst schwachen Schmerzmitteln zu behandeln, und darum gebeten, sofort benachrichtigt zu werden, falls eine weitere Verschlechterung eintrat.
Nach Verabreichung einer Schmerztablette waren die Kopfschmerzen zwar nicht abgeklungen, hatten sich jedoch auch nicht weiter verschlimmert. Trotzdem hatte Janet anfangs häufig nach Helen gesehen. Da die Kopfschmerzen unverändert geblieben und auch sämtliche Lebenszeichen und ihr Bewußtseinszustand normal waren, hatte sich Janets Besorgnis
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