Toedliche Hoffnung
Buchstaben auf den Buchrücken und lachte vor sich hin. »Er scherzte immer darüber, dass er sich das nächste Mal Puschkin nennen würde. Puschkin ist Ihnen wohl ein Begriff?«
Ich nickte, russischer Dichter, eine Art Nationalheiliger. Wie er schrieb, wusste ich nicht, aber mit Sicherheit schwermütig und eindrucksvoll.
»Wir sind Russen, verstehen Sie«, fuhr sie fort. »Es ist nicht leicht für uns. Die Ukrainer wollen die Geschäfte am liebsten selbst übernehmen und wären uns gern los – nichts ist mehr so, wie es einmal war.«
»Ihr Mann sollte Patrick einige Dokumente überreichen«, sagte ich. »Hatte er sie dabei, als er sich auf den Weg zu dem Treffen machte?«
Vera Jetjenkova stand abrupt auf.
»Es war mein Fehler«, sagte sie und schlug die Hände über dem Kopf zusammen, »der Treffpunkt war meine Idee.« Sie raufte sich die Haare, wobei ein Lockenwickler herunterfiel und auf dem schmutzigen, verblichenen alten Teppich landete. »Ich sagte, er solle sich einen bekannten Ort aussuchen. Damit er sich nicht verlief, mein armer Micha, er konnte sich ja nicht einmal in Kiew orientieren. Ihm fehlte dieser Sinn, wie heißt das noch?«
»Orientierungssinn«, sagte ich.
Vera Jetjenkova schüttelte den Kopf und deutete mit ausgestrecktem Arm auf den Platz vor ihrem Fenster.
»Du brauchst nur nach rechts zu gehen, sagte ich, nur die Gasse hoch, immer geradeaus.«
Sie schluchzte auf und begrub ihr Gesicht in den Händen.
»Es muss schrecklich für Sie gewesen sein«, sagte ich.
Vera Jetjenkova warf mir einen Blick zu.
»Was wissen Sie denn schon davon?«, fragte sie und verließ den Raum.
»Eine ganze Menge«, sagte ich leise ihrem Rücken hinterher.
Während sie in der Küche klapperte, ging ich zum Fenster. Das Tageslicht warf durch die Schlitze der Jalousien Streifen auf den Boden, es war bald achtzehn Uhr. Ich konnte draußen keine Feuerleiter sehen, sicherlich gab es in diesem mittelalterlichen Stadtteil gar keine.
»Ist es für Sie in Ordnung, wenn ich die Jalousien hochziehe?«, fragte ich Vera Jetjenkova, als sie zurückkehrte.
Sie hielt eine Flasche Portwein und zwei Gläser in den Händen.
»Natürlich«, sagte sie. »Ich denke einfach nicht daran. Ich gehe erst raus, wenn es dunkel ist. Schlafe am Tag. So ist es, seit ...« Sie stellte die Gläser ab und goss einen Schluck ein. »Ich komme gleich«, sagte sie und verschwand wieder.
Ich zog die Jalousien hoch. Das Fensterbrett war grau von Ruß und Staub und anderem Schmutz. Die Frau aus dem Haus gegenüber rief einem Mann etwas zu, der den kleinen Platz überquerte, er schrie eine Antwort zurück. Irgendwo lief ein Fernseher, Geräusche von einem Fußballspiel. Warum bleibt sie hier?, dachte ich. Warum verlässt sie nicht den Ort, der für immer mit der Gasse verbunden ist, in der ihr Mann auf den Pflastersteinen zerschmettert wurde?
»Ich möchte, dass die Vereinbarung eingehalten wird«, sagte Vera Jetjenkova, als sie wieder da war. Sie ging schnurstracks zu ihrem Portweinglas und leerte es mit einem Zug. In bekleidetem Zustand hatte sie sich zu einer schicken, kleinen Dame verwandelt, wie aus einer Klatschzeitung über die Reichen und Berühmten auf Englands Gütern und Schlössern entsprungen. Sie trug ein elegantes, feinkariertes Kostüm mit Blazer und Dreiviertelhosen und hatte ein zweifarbiges Tuch um ihre Schultern drapiert. Ich hätte schwören können, dass ihre Haarspange aus echtem Gold war.
»Ich möchte hunderttausend Dollar oder Euro, das ist ja fast dasselbe.«
Sie langte nach der Flasche und füllte ihr Glas auf. Das Getränk hatte eine tiefbraune Farbe und passte zu ihrer Kleidung.
»Das haben Sie missverstanden ...« Ich nippte an dem Wein, ein strenger Geschmack legte sich auf meine Zunge, altes Eichenfass und Süße. »Ich habe nichts damit zu tun, ich suche nur meinen Mann.«
Vera Jetjenkova beugte sich vor und senkte die Stimme.
»Die glauben, dass wir tot sind«, sagte sie. »Ich kann nicht nach Hause zurück. Man soll nicht versuchen, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen, das musste mein armer Micha erfahren, aber ich werde denen ein Schnippchen schlagen, hören Sie?« Sie leerte ihr zweites Glas. »Jetzt, wo Micha fort ist, graben sie alles aus, was sie über ihn finden können. All die Lügen aus ihren Archiven. Aber ich sage Ihnen, er hat nur seinen Job gemacht. Er war ein leidenschaftlicher Mann.«
Sie packte den Flaschenhals und goss erneut nach.
»Er hat sich alles notiert. Jede Ziffer. Namen,
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