Toedliche Hoffnung
zurück.
»Da ist ein Code drin. Drei Euro pro Stunde.« Er zeigte auf ein dunkles Holzpult in der hintersten Ecke der Bar. »Der Computer steht dort«, sagte er und ging zurück zur Rezeption.
»Entschuldigung«, rief ich ihm nach. »Wäre es möglich, um diese Zeit einen Kaffee zu bekommen? Und ein Sandwich, wenn es geht.«
Ich öffnete die kleine Karte und tippte den Code in das Fenster für das Passwort. Dann ging ich auf die Google -Startseite.
Illegaler Immigrant , schrieb ich. Boote. Tod.
Dann lehnte ich mich zurück und wartete.
Schon seit mehreren Tagen hatte ich es vor Augen gehabt, und dennoch war mir der Gedanke nicht in den Sinn gekommen. Ich hatte mir nicht einen Moment erlaubt, soweit zu denken. Ich hatte es einfach nicht sehen wollen. Die Hoffnung war nur eine verdammte, betrügerische Lüge.
Die ersten Schlagzeilen waren aktuell und handelten von Dingen, die in den vergangenen Tagen passiert waren: Vor Malta war ein Boot gesunken, auf einer der Kanarischen Inseln waren Leichen angespült worden. Ich scrollte nach unten, fand aber nicht, wonach ich suchte.
Der Portier stellte eine Tasse Kaffee neben den Computer.
»Obrigada«, sagte ich, das einzige portugiesische Wort, das ich aufgeschnappt hatte.
Mann tot Strand Immigrant, schrieb ich und klickte erneut auf Suchen .
Ich nippte an dem bitteren Kaffee, während der uralte Computer gemächlich seine Suche begann. Bis auf den Schein aus der halbgeöffneten Küchentür war der Bildschirm die einzige Lichtquelle in der geschlossenen Bar. Die Fenster waren mit vier Meter langen Samtgardinen verhängt, von der Decke bis zum Boden.
Den dritten Treffer erkannte ich sofort.
Ich öffnete den Artikel und vergaß alles um mich herum.
Es ging um einen Strand in Spanien, in einer Stadt an der Atlantikküste, die Tarifa hieß. Eine schwedische Touristin hatte einen toten Mann am Strand gefunden. Ein afrikanischer Immigrant, stand dort.
»Es war so schrecklich«, berichtete Terese Wallner, zwanzig Jahre alt, die einen Schock erlitten hatte. »Im Wasser sah er beinahelebendig aus. Er hatte eine Tätowierung, sonst war er vollkommen nackt.«
Meine Hand schnellte zur linken Schulter und umklammerte sie. Eine Tätowierung – das hatte sich irgendwo in meinem Hinterkopf festgesetzt, unbewusst.
Ich kontrollierte das Datum. Der Artikel war am Mittwoch, den vierundzwanzigsten September, publiziert worden. Das war eine Woche her. Sieben Tage, nachdem Patrick zum letzten Mal gesehen wurde, oben bei der Terrasse in Alfama.
Ich las den kurzen Text wieder und wieder. Wie konnten sie wissen, dass der Mann ein afrikanischer Immigrant war? Das ging aus dem Artikel nicht hervor. Allerdings waren in den Tagen danach mehrere Leichen im Gebiet um Cádiz angeschwemmt worden. Die spanische Polizei glaubte, dass es sich um ein gekentertes Gummiboot mit illegalen Immigranten handelte.
Ich suchte nach Spanien und öffnete eine Landkarte. Mit rasendem Herz zoomte ich den südlichen Teil heran und fand die Stadt Tarifa, am äußersten Punkt einer Landzunge, unmittelbar westlich von Gibraltar. Der Abstand zum afrikanischen Kontinent auf der Karte war nicht breiter als mein abgekauter Nagel, höchstens zehn bis zwanzig Kilometer. Und von Tarifa dehnte sich der Atlantik nach Westen zur portugiesischen Grenze hin aus, wo sich die Erdkruste krümmte und das Meer in den Sund hineingesaugt wurde, an dem Lissabon lag, an der Mündung des Tejo.
Es könnte stimmen.
Mir blieb die Luft weg.
Herrgott im Himmel, dachte ich. Es könnte stimmen.
Mein Kopf dröhnte, als ich nach weiteren Informationen über den Mann am Strand suchte, aber der kurze Text war alles, was es gab. Nichts darüber, wer er war. Nichts über seine Tätowierung. Ich ging zum Artikel zurück.
»Es war ein fürchterlicher Schock«, hatte Terese Wallner gesagt. »Die Leute schwimmen und surfen doch den ganzen Tag an diesem Strand!«
Ich sah auf die Uhr. Von meiner Internetzeit waren noch vierMinuten übrig. Ich suchte nach Schweden, Adressen und tippte den Namen Terese Wallner ein. Offenbar gab es nur eine einzige Person, die so hieß. Eine Handynummer, die unter der Adresse Hemmansvägen in einem Ort namens Järfälla registriert war.
Es war drei Minuten nach fünf. Schweden lag weiter östlich als Lissabon, beinahe in Russland, also definitiv in einer anderen Zeitzone. Dort musste es also mindestens sechs Uhr sein.
Ich loggte mich aus und ging in mein Zimmer. Unter der Dusche ließ ich das heiße Wasser über
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