Toedliche Hoffnung
meinen Körper rinnen, bis die Haut warm und schrumpelig war. Ich beobachtete lange, wie sich das Wasser in einem kleinen Wirbel drehte, bevor es in den Ausguss gesogen wurde.
Als es in Lissabon sechs Uhr war und in Stockholm womöglich schon sieben, wählte ich Terese Wallners Nummer. Nach dem achten Klingeln ging jemand ran. Eine belegte Stimme.
»Entschuldigung, dass ich so früh anrufe«, sagte ich und betete innerlich, die Frau möge Englisch sprechen.
»Wer ist da?«, fragte sie.
»Du kennst mich nicht, ich heiße Ally Cornwall und wohne in New York, aber momentan bin ich gerade in Lissabon.« Das war mehr an Information, als Terese Wallner gebraucht hätte, aber ich wollte ihr eine Chance zum Wachwerden geben.
»Was wollen Sie von mir?«
»Du warst vor einer Woche in Spanien, das habe ich im Internet gelesen.«
»Geht es um meinen Pass, oder was?« Sie klang plötzlich irritiert und begann zu flüstern. »Haben Sie ihn gefunden?«
»Nein, aber du hast einen toten Mann am Strand gefunden. Das warst doch du?«
»Ja.« Ich hörte das Mädchen am anderen Ende schniefen. »Entschuldigung, ich bin ein bisschen erkältet«, sagte sie. »Mein Vater meint, das kommt vom Wind. Oder vom Schock vielleicht. Ich weiß es nicht.«
Ihr Englisch war recht gut, bis auf die holprige, schwedische Satzmelodie.
»Du sagst in dem Interview, dass er eine Tätowierung hatte. Stimmt das?«
»Von wo rufen Sie noch mal an?«
»Aus Lissabon.«
»Arbeiten Sie für eine Zeitung, oder was?«
Das Mädchen schnäuzte sich so laut, dass es im Hörer schepperte.
»Wie sah die Tätowierung aus?«, fragte ich.
»Sie war auf der Schulter.«
»Auf welcher Schulter?«
»Na die Schulter von dem, der da lag, natürlich!« Sie schniefte. »Ich saß auf einer Klippe, die aus dem Wasser ragte, und als ich hochklettern wollte, da ...« Das Mädchen verstummte plötzlich. »Sie kennen nicht zufällig Alex?«
Ich umklammerte das Telefon.
Was für ein Alex, zum Teufel?
»Nein, ich kenne keinen Alex. Aber vielleicht kenne ich den Mann, den du gefunden hast.«
»Aber der kam doch aus Afrika.«
»Woher willst du das wissen?«
»Das war er eben. Ich habe von ihm geträumt. Dass er aus dem Wasser aufsteigt und mich packt. Es ist gruselig und irgendwie doch wieder nicht. Er sah fast lebendig aus. Für welche Zeitung arbeiten Sie denn?« Inzwischen war Terese offensichtlich wach geworden. Sie schien die Aufmerksamkeit zu genießen. »Ich verstehe nicht, wie man sich tätowieren lassen kann, das muss so weh tun. Ich wurde ja schon ohnmächtig, als ich mir ein Ohrloch stechen ließ, aber damals war ich auch erst dreizehn.«
Ich bohrte meine Fingernägel in den Bettüberwurf.
»Was war es für eine Tätowierung?«, fragte ich.
»Sie war schön, wirklich. Es waren zwei gekreuzte Blumen. Keine Rosen oder so, sondern mehr wie Phantasieblumen, irgendwie ein schönes Muster.«
Irgendwie ein schönes Muster, hallte das Echo durch den Raum, und das Blumenornament tauchte vor meinem innerenAuge auf, ich sah, wie es sich über eine schwarze Schulter ringelte, bis zu den Muskeln des Oberarms hinab, und ich biss mir in die Hand, die nicht das Telefon hielt, biss so fest ich konnte, und der körperliche Schmerz bewahrte mich vor dem tieferen, seelischen Schmerz.
»Obwohl die Polizei nicht daran interessiert war. Die wollten vor allem wissen, was ich eigentlich am Strand gemacht habe und so.« Terese schnäuzte sich erneut. »Entschuldigung«, schniefte sie, »aber es bringt mich so durcheinander, darüber zu reden, es ist, als käme alles wieder hoch. Mein Vater meint, dass es dauern kann, bis man über so eine Sache hinweg ist.«
»Stand etwas dabei?«, flüsterte ich.
Im Telefonhörer raschelte es, das Mädchen am anderen Ende wechselte die Stellung.
»Was haben Sie gesagt?«
»Stand etwas auf der Tätowierung?«, sagte ich laut, ich schrie fast.
»Ach so, auf der Schulter, meinen Sie? Entschuldigung, die Verbindung ist nicht so gut. Ich weiß nicht, was es bedeutete. Ich spreche diese Sprachen ja nicht.«
»Also stand etwas da.« Ich hörte meine eigene Stimme im Hörer widerhallen; alles, was ich sagte, wurde mit der Verzögerung einer Sekunde wiederholt. »Ein Name?«
Name, Name, hallte es in der Leitung.
»Das weiß ich doch nicht, ob es ein Name war. Sie sagten, er käme aus einem Land südlich der Sahara und dass massenhaft Menschen da im Meer sterben. Stellen Sie sich vor, ich hätte am Tag davor dort gebadet, vielleicht lag er schon
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