Toedliche Hoffnung
Bankautomaten in Tarifa abgehoben. Insgesamt hatte ich zweitausendvierhundert Euro im Portemonnaie, in den Taschen, und im Strumpf. Meinen Pass hatte ich im Schließfach eingeschlossen. Das barg ein Risiko, war aber die einzige Möglichkeit.
Ich wusch mir das Gesicht über dem Wachbecken und trocknete mich unter dem Handtuchtrockner. Zuckte zusammen, als ich das fremde Antlitz im Spiegel sah. Wohlbekannt, und doch nicht. Wie wenn man eine längst vergessene, ehemalige Kollegin im falschen Stadtteil auf der Straße sieht und sich nicht sicher ist, ob man sie kennt. Das blondierte Haar machte mich zu einer jüngeren Kopie meiner selbst, es glättete mein Gesicht. Ich hatte noch immer den stechenden Geruch von Wasserstoffperoxid in der Nase.
Vom Busterminal in Marbella gab es Verbindungen in alle Himmelsrichtungen, nach Sevilla, Malaga, Madrid und an Orte, deren geografische Lage ich nicht einmal kannte. Ich wählte ein Terminal, das ausreichend groß war, um alle Menschen kommen und gehen zu sehen. Einen Ort, an dem mich niemand bemerken würde.
Ich ging um das Terminal herum, bis ich einen Briefkasten fand. Nahm den wattierten Umschlag für Benji mit dem Brief unddem Schlüssel zur Wohnung in Gramercy, drückte ihn einige Sekunden lang fest in der Hand.
Ich war mir nicht sicher, ob das juristisch hieb- und stichfest war, aber es musste genügen. Im Brief hatte ich geschrieben, dass er die Firma und die Wohnung übernehmen sollte. Alles, was ich hinterließ. Möglicherweise würden Patricks Eltern Ärger machen, aber dann musste er sich wohl mit ihnen um das prügeln, was ihm wichtig war. Der Brief landete mit einem weichen Plumps im Briefkasten.
Auf der Rückseite des Terminals war der Bus vorgefahren. Die Abgase mischten sich mit dem Rauch von Reisenden, die einige schnelle Züge von ihren Zigaretten nahmen, bevor sie einstiegen.
Es war schon der dritte Bus, in den ich heute stieg. Um acht Uhr morgens hatte ich Tarifa verlassen und war Richtung Osten gereist, in Algeciras umgestiegen und an Gibraltar vorübergefahren, wo der Atlantik ins Mittelmeer fließt. Der mächtige Felsen verblasste hinter mir zu einem Schatten, als ich meine Fahrt nach Marbella fortsetzte.
»Wohin?«, brummelte der Fahrer, als ich einstieg.
Ich zeigte meinen Fahrschein.
»Nach Puerto Banus«, antwortete ich.
Ich machte es mir auf einem Sofa in der Sinatra Bar bequem,
mit Aussicht auf die riesigen Luxusboote, die im Hafen lagen und wie groteske Mutationen aussahen. Auf der Straße glitten in sanftem Tempo Ferrari, Lamborghini und andere Luxuskarossen vorbei.
Mechanisch überflog ich die Karte und bestellte ein gegrilltes Sandwich. Zwei Männer mit sonnenverbrannten Nasen dösten über ihren Bieren, eine Frau mit Goldrandbrille machte eine Shoppingpause, umgeben von Versace- und Armani-Tüten.
Ich nahm Block und Stift und zeichnete eine Skizze vom Hafen, während ich wartete. Eine Kulisse zu einem Stück, das von Erfolg und Geld erzählte. Puerto Banus wirkte so pittoresk wie ein Fischerdorf, mit weißen Häusern und schmalen Treppen, die zwischenden Straßen emporkletterten. Aber ein Fischer konnte es sich wohl kaum leisten, hier zu wohnen.
»Oh Gott, was bin ich müde, was für eine Nacht«, seufzte ein Mädchen in britischem Englisch und ließ sich auf ein Sofa fallen .
»Ich habe keine Ahnung, wann man hier schlafen soll«, pflichtete ihre Freundin bei und winkte flirtend dem Barkeeper zu, der schnell bei ihr war. Er trug einen Goldring im Ohr und ein schwarzes T-Shirt, dessen Ärmel hochgekrempelt waren und die Muskeln zeigten.
»Für mich ein besseres Morgen«, sagte das Mädchen.
»Für mich auch«, sagte die andere und setzte sich ihr gegenüber. Sie streckten ihre langen Beine aus, die eine zog ihre Schuhe aus und wackelte mit ihren silberlackierten Zehennägeln.
Der Barkeeper jonglierte mit Saftpäckchen und Zitronen und füllte das Glas mit zerstoßenem Eis auf. A better tomorrow war die alkoholfreie Alternative auf der Cocktailkarte.
»Diese Schuhe bringen mich noch um«, sagte die eine. Sie trug die Haare platinblond, die andere hellblond, den Ansatz hatten sich beide absichtlich braun gefärbt. Die Trendforscher behaupteten, das man in diesem Jahr nachlässig und zerzaust aussehen solle, als ob man sich beim Styling kein bisschen angestrengt hätte.
»Guck mal da drüben, aber dreh dich nicht so auffällig um«, flüsterte die Hellblonde und deutete mit den Augen zur Straße. Eine roter Maserati drehte seine
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