Toedliche Hoffnung
ziehen und Zettel an Laternenpfähle hängen und ihn in der ganzen Stadt suchen.«
Ich drängte mich an ihm vorbei in den Flur.
»Ich weiß, ich weiß«, sagte Benji, »ich habe gar keinen Mann.«
Gramercy war ein nichtssagendes Viertel im Osten von Manhattan.
Während unserer ersten Spaziergänge hatte Patrick versucht, es interessanter zu machen, als es war. Er hatte mir gezeigt, wo Uma Thurman wohnte: in einem Eckhaus am Gramercy Park. Einmal war er dort ihrem Ex Ethan Hawke begegnet, der ihn doch tatsächlich gegrüßt hatte. Im Hotel nebenan hatte Humphrey Bogart geheiratet und irgendwo in der Nähe wohnte Paulina Porizkova, aber das war auch schon alles. Mehr gab es wirklich nicht zum Prahlen, so gern er mir auch imponiert hätte. Die Einwohner Gramercys waren hauptsächlich Büroangestellte, Lehrer und Verwaltungspersonal der umliegenden Krankenhäuser, das Viertel war anonym und seelenlos wie ein unbeschriebenes Blatt, und genau das gefiel mir.
Der Concierge döste vor sich hin, als ich um kurz nach elf nach Hause kam. Es war wieder mal spät geworden am Theater.
»Und ihr Mann ist noch nicht wieder da?«, fragte er neugierig und beugte sich über den Tresen, um mir mit dem Blick folgen zu können.
»Nein, noch nicht«, antwortete ich.
»Immer noch in Europa?«
Patrick hielt immer einen Schwatz mit den Concierges, er war mit sämtlichen neun, die sich untereinander ablösten, auf Du und Du. Ich hatte mich nach drei Jahren in diesem Haus noch immer nicht daran gewöhnt, dass jemand beobachtete, wann ich kam und ging.
»Gute Nacht«, sagte ich und schlüpfte in den Aufzug.
Ich atmete erst wieder aus, als er im zwölften Stock langsamer wurde und im vierzehnten hielt. Eine dreizehnte Etage gab es nicht. Ich war froh über diesen Aberglauben, weil ich ihm ein Stockwerk weniger zu verdanken hatte, eine Sekunde weniger in dieser verschlossenen Box.
Ich öffnete die Tür und trat in die Stille. In der Wohnung im vierzehnten Stock gab es keine Zeit und keine Wirklichkeit, sie war ein Vakuum, das hoch über der dreiunddreißigsten Straße schwebte. Durch das Fenster sah ich auf die Autos hinab, die weit unten wie kleine, leuchtende Spielzeuge umhersausten. Im Norden sah man die weiße Spitze des Chrysler Building hervorschimmern.
Es gab keine Fenster nach Süden. Sonst hätte ich die Lower East Side sehen können oder auch Loisada , wie sie in meiner Jugend von den jungen Puerto-Ricanern genannt worden war. Sie lag nur zehn Straßen entfernt, diese andere Welt, in der meine Mutter und ich in unserer ersten Einzimmerwohnung in Alphabet City wohnten, wo die Straßen Buchstaben anstelle von Nummern hatten, und wo ich lernte, mich zu prügeln und auf Spanisch zu fluchen, noch bevor ich fließend Englisch sprechen konnte. Meine Mutter glaubte, sie mache den amerikanischen Traum wahr, als es ihr nach sieben Jahren gelang, eine Ecke weiter in eine abgewohnte Minizweizimmerwohnung auf der First Avenue zu ziehen. Dort war der Bäcker ein Pole, und es gab Nachbarn, mit denen sie Tschechisch reden konnte. Ich dagegen beherrschte die Sprache nicht mehr oder wollte sie nicht sprechen. Ich weiß es nicht. Als sie starb, übernahm ich die Wohnung und wohnte dort, bis ich Patrick kennenlernte.
Als ich auf meinen Bürostuhl sank, blinkte mein Mailclient.
Elf Mails im Posteingang. Keine davon war von Patrick.
Stattdessen loggte ich mich bei meiner Bank ein. Richard Evans Worte hatten den ganzen Abend in meinem Kopf nachgehallt.
Wir haben ihm keinen Vorschuss gezahlt.
Wir hatten zwei gemeinsame Konten. Das war Patricks Idee gewesen, damit er einen Überblick über die Finanzen hatte. Ich selbst war es gewöhnt, von der Hand in den Mund zu leben. Ich hatte noch nie ein gemeinsames Konto mit jemandem gehabt, denn das erschien mir fast intimer, als das Bett zu teilen.
Der Saldo auf dem Konto für die laufenden Kosten lag bei zweihundertvierzig Dollar. Keiner von uns hatte schon das Geld für die Rechnungen des nächsten Monats eingezahlt. Wie immer.
Als nächstes sah ich mir unser gemeinsames Sparkonto an.
The baby money.
Das war seine Bezeichnung. Ich nannte es Sparkapital. Wir überwiesen regelmäßig Geld darauf, und Patricks Eltern steuerten an Weihnachten und Geburtstagen etwas dazu. Mittlerweile hatten wir über sechszehntausend Dollar angespart. Nicht einmal letzten Herbst, als Patrick bei seinen Recherchen über die Verlierer der Finanzkrise deutlich ins Minus gerutscht war, hatten wir das Geld
Weitere Kostenlose Bücher