Toedliche Hoffnung
Seine Nägel waren kurz und ungepflegt, sie hatten schwarze Schmutzränder.
»Warum will er das wissen?«, flüsterte sie ihrem Vater zu, der neben ihr saß. »Was spielt das für eine Rolle?«
»Du musst auf seine Fragen antworten«, sagte Stefan Wallner. »Das verstehst du doch wohl.«
Terese rieb sich das Ohrläppchen. Er sprach mit ihr, als sei sie ein Kind. Sie ärgerte sich, dass sie zugestimmt hatte, das Verhör von ihm dolmetschen zu lassen. »Wobei ich es nicht Verhör nennen würde«, hatte er gesagt. »Sie wollen ja lediglich wissen, was du am Strand gesehen hast.« Vielleicht wäre es leichter gewesen, von Fremden umgeben zu sein, die sich nicht für sie schämten oder enttäuscht von ihr waren, dachte sie.
»Ich bin einfach nur spazieren gegangen.«
»Mitten in der Nacht, im Morgengrauen?« Der Polizist verzog seinen Mund zu einem schwachen Lächeln, kaum mehr als ein Strich unter dem Schnauzbart. Dennoch konnte sie erkennen, dass ihm oben ein Zahn fehlte. Seine Augen fixierten ihre Brüste.
»Ich war betrunken«, antwortete Terese auf Schwedisch. »Mir war schlecht. Kann sein, dass ich mich verlaufen habe.«
Stefan Wallner übersetzte.
»War sie allein am Strand?«, wollte der Polizist wissen.
»Ja, war ich.« Sie schluckte, ihr Hals schnürte sich zu. »Das habe ich doch schon gesagt.«
»Allein am Strand, ein junges Mädchen, mitten in der Nacht.« Er schüttelte den Kopf. An der Wand hinter ihm hing ein Gemälde von einer Madonna mit Jesuskind. Ihr Vater übersetzte nicht, sie verstand es trotzdem. Sie hatte am Gymnasium drei Jahre lang Spanisch gelernt und konnte im Restaurant etwas zu essen bestellen. Aus diesem Grund hatte er sie auch zu der Reise eingeladen – damit sie die Sprache üben konnte. Er wollte ihr die Orte zeigen, die er besucht hatte, als er jung gewesen und quer durch Europa getrampt war. Sie schielte zu ihrem Vater hinüber. Seine Haut war sonnengebräunt, das Haar war blonder geworden, sodass man die grauen Strähnen kaum noch sehen konnte. Sie waren seit einer Woche in Tarifa, als die Sache passierte, die ihnen den Urlaub verdarb.
»Warum fragt er nicht nach der Leiche?«, sagte Terese. »Warum fragt er nur nach mir?«
Der Polizist lehnte sich breitbeinig auf seinem Stuhl zurück. Er tippte sich mit dem Stift gegen den Mund.
»Ich weiß genau, was ihr am Strand macht«, fuhr er fort. »Ihr kommt hierher und treibt euch in den Bars herum und zieht euch für jeden dahergelaufenen Typen aus. Mein Cousin hat am Strand gearbeitet. Er musste hinter Früchtchen wie euch aufräumen. Und rate mal, was er normalerweise morgens im Sand fand.«
Er beugte sich wieder zu Terese vor, die zusammenfuhr, als sein Blick erneut zwischen ihren Brüsten landete. Sie wünschte, sie hätte einen Pullover angezogen. Eine Strickjacke darüber. Ein Shirt, das nicht so eng anlag und das halbe Dekolleté offenbarte.
»Jetzt reicht es«, sagte ihr Vater auf Spanisch und legte seine warme, schwere Hand auf ihre Schulter. »Meine Tochter hat etwas Schreckliches erlebt. Sie müssen doch verstehen, dass sie unterSchock steht.« Er warf einen kurzen Seitenblick zu Terese und wandte sich erneut dem Polizisten zu. »Sie hat doch bereits gesagt, dass sie alleine dort war.«
Der Polizist verzog den Mund, wobei er erneut seine Zahnlücke entblößte. Terese senkte den Kopf.
»Wer war der Tote, den sie gefunden hat?«, fragte Stefan Wallner. »Wissen Sie mehr darüber, was mit ihm passiert ist?«
»Ein Einwanderer aus Schwarzafrika «, antwortete der Polizist und erhob sich. Er ging zu einer Seitenwand, an der eine Europakarte hing. Der obere Teil von Afrika war auch darauf zu sehen. Terese wusste, dass von Tarifa aus Schiffe dort hinfuhren. Die Fahrt nach Tanger dauerte fünfunddreißig Minuten und kostete neunundzwanzig Euro pro Person. Ihr Vater hatte bei der Touristeninformation eine Broschüre darüber mitgenommen. Terese war nicht sonderlich daran interessiert gewesen, hatte es aber nicht zugegeben. Sie wollte ihn nicht enttäuschen. Als er mit dem Vorschlag kam, eine Reise nach Südspanien zu machen, hatte sie an Marbella mit seinen sonnigen Stränden und Diskotheken gedacht. In Tarifa aber blies immerzu ein starker Wind. An einem der ersten Tage hatte sie versucht, zu schwimmen, aber sie war in Panik geraten, als sie von einer Welle überspült wurde und die Unterströmungen sie vom Strand wegtrieben.
»Sie fliehen aus den Ländern südlich der Sahara«, erklärte der Polizist. Er deutete
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