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Toedliche Hoffnung

Toedliche Hoffnung

Titel: Toedliche Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tove Alsterdal
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unterhalb der Karte auf die Wand, die direkt auf den Putz gestrichen war. »Aus Sierra Leone, Nigeria, Mali und der Elfenbeinküste. Noch vor wenigen Jahren kamen hier fast jeden Tag überfüllte Boote an.« Er fuhr mit der Hand über das Meer, in das Blaue hinein, das den Atlantik darstellte. »Dann begannen sie, diese Reiseroute zu nehmen, über den Senegal bis zu den Kanarischen Inseln. Sie wissen, dass wir ihrer Reise in der Meeresenge ein Ende bereiten. Wir haben Seepatrouillen auf beiden Seiten, Kameras, Radar. Doch ein Teil schreckt trotzdem nicht davor zurück, sich auf den Weg zu machen.«
    Stefan Wallner übersetzte und Terese wurde ein klein wenig ruhiger. Einen Teil hiervon wusste sie bereits. Als sie gestern im Bettgelegen hatte und am liebsten einfach nur schlafen und sterben wollte, war ihr Vater losgegangen und hatte mit der Polizei und dem Roten Kreuz gesprochen. Eineinhalb Stunden später kehrte er zurück und fragte, ob sie etwas essen wolle. Er saß an ihrer Bettkante, strich über ihr Haar und erzählte ihr von den unglücklichen Menschen, die vor Armut und teilweise auch vor dem Krieg flüchteten. Der Chef des Roten Kreuzes in Tarifa hatte ihm Bilder von Menschen gezeigt, die in den letzten Jahren in der Straße von Gibraltar ertrunken waren. Er hatte eine ganze Aktentasche voller Bilder. Wenn Terese die Augen schloss, sah sie den schwarzen Mann vor sich und dachte, sie würde dem Tod begegnen. Sie hatte gespürt, wie die alte Trauer wieder hochkam, aus ihrer Jugend- und Gymnasialzeit, als sie begriffen hatte, wie sinnlos alles war und dass es nicht von Bedeutung war, was sie tat, weil sie ein Niemand war. Kann jemand einen Niemand lieben? Niemand merkt, wenn niemand stirbt. »Ich will nicht, Papa«, hatte sie damals gesagt. »Ich weiß nicht, ob ich leben will.«
    Der Polizist ging an dem einzigen Fenster des Raums vorüber und zeigte mit der Hand nach draußen. Terese schauderte, als sie den Stacheldraht und die Möwen sah. Die Insel mit dem Leuchtturm, die dort draußen lag, gegen die die Wellen peitschten. Nie wieder würde sie ans Meer gehen.
    »Wenn wir sie erwischen, kommen sie auf die Isla de las Palomas«, sagte er. »Vor ein paar Jahren war es dort gerammelt voll, aber jetzt behalten wir sie nur vierundzwanzig Stunden dort, dann werden sie ins Internierungslager in Algeciras gebracht. Wenn man sie dort nicht zum Reden bringen kann, werden sie nach vierzig Tagen auf die Straße gelassen. Direkt zur Gemüseindustrie.«
    Der Polizist umrundete seinen Schreibtisch und nahm ein Dokument aus dünnem, schlaffem Papier in die Hand.
    »Ich spreche natürlich von denen, die lebend hier ankommen.«
    Er ließ sich erneut breitbeinig auf seinem Stuhl nieder und schlug mit der Hand gegen das Blatt, sodass es knallte.
    »Heute Morgen kam ein Fax aus Cádiz. Man hat zwei weitere gefunden. Ein Mann und eine Frau. Schwanger.« Er nahm ein anderesBlatt und hielt es hoch. »Den marokkanischen Behörden liegen Berichte über ein Gummiboot vor, das in der Nacht zum Sonntag losfuhr. Es kam durch. Vielleicht haben sie jemanden bestochen, was weiß ich. Diese Schleuser scheuen keine Mittel.« Er strich seinen Schnurrbart glatt, der sich auf altmodische Weise an den Enden leicht zwirbelte. »Sie sagen den Passagieren, dass sie ins Meer springen sollen, wenn sie sich der spanischen Küste nähern, damit die Schleuser das Boot wenden können, ehe wir sie zu fassen kriegen.«
    »Haben sie die Menschen identifiziert?«, fragte Stefan Wallner. Noch immer berührte er Tereses Schulter und tätschelte sie leicht. Beschützte sie. Sie schämte sich dafür zu lügen. Schämte sich dafür, am Strand zurückgelassen worden zu sein. Es war gemein, dass Menschen im Meer starben.
    Der Polizist feixte. »Wie stellen Sie sich das denn vor? Bisher haben wir noch keine Überlebenden gefunden.«
    »Sag, dass er eine Tätowierung hatte«, bat Terese.
    »Das wissen sie wohl schon«, sagte ihr Vater. Terese biss sich auf die Lippen. Zurechtgewiesen, wie ein Kind. Sie war immerhin zwanzig.
    »Wenn es sich um Marokkaner handelt, treten wir sofort mit den marokkanischen Behörden in Kontakt«, erklärte der Polizist. »Sie sind innerhalb von vierundzwanzig Stunden hier. Wenn es aber Schwarzafrikaner sind, können wir nicht viel ausrichten. Sie haben keine Papiere bei sich und selbst wenn sie am Leben wären, würden wir nicht aus ihnen herausbekommen, wo sie herkommen.« Er zuckte mit den Schultern. »Wir nehmen selbstverständlich

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