Toedliche Hoffnung
ich und tastete mit der Hand nach meinem Bauch. Eine echte Mutter würde nach Hause fahren. Keine weiteren Risiken eingehen. Regelmäßige Mahlzeiten zu sich nehmen und in gemächlichem Tempo joggen, mit dem Häkeln anfangen. Eine Babygarderobe zusammenstellen. Ein Bettchen und einen Kinderwagen kaufen.
Dann der nächste Gedanke: dass das Kind größer werden und eines Tages nach seinem Vater fragen würde. Und ich antworten müsste: »Er verschwand. Ich weiß nicht wohin. Ich weiß nicht warum. Ich war zu feige, dort zu bleiben und es herauszufinden.«
»Patrick Cornwall war ein sehr geschätzter Gast bei uns«, sagte der Portier und stellte noch ein Käsebrot auf den Tisch. »Er ist der erste Amerikaner, der nicht der Ansicht war, der Louvre sei nur ein Tatort aus dem Da-Vinci-Code. «
Der Portier lachte ein wenig über seinen eigenen Scherz. Sein Englisch war tadellos. Aus dem Namensschild an seiner Brusttasche ging hervor, dass er Olivier hieß.
»Kennen Sie ein Restaurant namens Taillevent ?«, fragte ich ihn zwischen zwei Bissen.
»Selbstverständlich«, sagte er und setzte sich auf die Armlehne des gegenüberliegenden Sofas. »Es gehört zu den besten. Nicht so bekannt wie La Tour d’Argent , aber vermutlich noch besser. Vor einigen Jahren verloren sie ihren dritten Stern im Guide Michelin, aber die Kunden halten ihnen offensichtlich trotzdem die Treue. Ich glaube, sie haben kurz nach Kriegsende eröffnet.«
»Was für Menschen gehen dort essen?«
»Politiker, Geschäftsleute, diejenigen, die auf die richtigen Schulen gegangen sind, die Elite. Kein besonders trendiger Ort. Wenn Sie ein besonders angesagtes Restaurant besuchen wollen, würde ich das Spoon von Alain Ducasse empfehlen.«
»Hat Patrick etwas davon erzählt, dass er im Taillevent war?«
»Er fragte mich, wo es liegt. Ich erinnere mich daran, weil ich die Adresse nachschlagen musste, ich bin nie selbst dort gewesen. Aber ich weiß nicht, ob er wirklich hingegangen ist.«
Olivier rückte seine Brille zurecht. Er war gut gekleidet. Diegraue Jeans und ein Hemd in einem dunkleren Ton erinnerten mich an Patricks Kleidungsstil.
»Haben Sie viel miteinander gesprochen?« Ich lehnte mich im Sessel zurück und versuchte mir vorzustellen, dass dies eine ganz normale Plauderei wäre. Über den vollkommen normalen Aufenthalt meines Mannes in Paris. Ich brachte es nicht über mich zu erzählen, was los war: dass Patrick verschwunden war.
»Wir haben uns ziemlich oft gestritten, meistens über Rimbaud, den Dichter«, erzählte Olivier und lächelte. »Er war der Meinung, wir sollten das Schild dort draußen abnehmen.« Er machte eine Geste in Richtung Straße.
Ich wusste, wovon er sprach – ich hatte auf der Website des Hotels gelesen, dass Arthur Rimbaud im wilden Jahr 1872 hier zu wohnen pflegte. Olivier bückte sich und nahm ein großes Buch mit rotem Ledereinband von einem Beistelltisch. Eine Postkarte fiel heraus, ein Gruß aus Melbourne.
»Traue niemals einem Dichter«, las er vor und hielt mir das Gästebuch hin. Mein Herz machte einen Salto, als ich Patricks Handschrift wiedererkannte. Never trust a poet. Er dankte für einen wunderbaren Aufenthalt. Datiert auf den sechzehnten September, den Tag, an dem er das Hotel verließ.
»Haben Sie damals gearbeitet?«, fragte ich. »Als er abreiste?«
»Nein, leider nicht ...« Er stand auf. Zwei Frauen in meinem Alter kamen die Treppe herunter und legten ihren Schlüssel auf den Tresen. Olivier wünschte ihnen einen schönen Abend, und sie wankten auf ihren hohen Absätzen weiter, in die Nacht hinaus.
»Patrick hatte in einem der Antiquariate am Fluss eine Biographie über Rimbaud gekauft«, fuhr er fort. »The man with foot soles of wind, wie Verlaine schrieb. Rimbaud hörte ja im Alter von zwanzig weitgehend damit auf, Gedichte zu schreiben. Stattdessen wanderte er nach Äthiopien aus und begann, Geschäfte zu machen, er verkaufte Waffen und Sklaven.«
»Er wurde Sklavenhändler?« Ich war kurz vorm Einschlafen gewesen. Eigentlich hätte ich jetzt schleunigst auf mein Zimmergehen, duschen und schlafen sollen, aber ich hatte Angst vor dem, was über mich hereinbrechen würde, wenn ich allein war.
Olivier lachte.
»Nicht alle glauben, dass es stimmt, aber Patrick meinte, es sei logisch. Dass der Sklavenhändler eine andere Seite dieses Dichters sei, ein Schatten oder eine Art innewohnende dunkle Seele, von dem die meisten nichts wissen wollen, aber sie existiert – im Glauben an das eigene
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