Toedliche Hoffnung
gegründet.«
»Die kenne ich«, sagte Patrick und strahlte. Wie allen Journalisten war es ihm wichtig, sich in allen Bereichen ein wenig auszukennen.
Die Plastic People of the Universe waren in der tschechischen Untergrundszene der 1970er legendär. Sie hatten Auftrittsverbot und machten daher heimlich weiter, bauten Radios zu Lautsprechern um und gaben Konzerte in Schuppen auf dem Land. Sie waren von Zappa und The Doors inspiriert und spielten meistens unter einem Banner mit dem Text Jim Morrison is our father. Anlass genug für mich, eine Zeitlang alle Doors -Platten zu kaufen und mir einzubilden, dass die Musik mich mit meinem Vater verbinde, ich in den Texten einen Hinweis auf seine Gedanken finden könne. Genau dieses Detail erzählte ich Patrick nicht.
»Als sie schließlich verhaftet wurden, kam es zu heftigen Protesten«, erzählte ich. »Václav Havel und andere Intellektuelle schrieben die Charta 77, die besagt, dass alle das Recht auf Meinungsfreiheit besitzen und man die Menschen nicht dafür einsperren kann, Musik zu machen und so weiter. Kurz nach den Gerichtsverfahren im Februar 1977 verschwand er.«
»Dein Vater? Was geschah denn damals? Wurde er verhaftet?« Patrick nahm meine Hand.
»Ich weiß es nicht. Er kehrte nie wieder zurück.«
»Was habt ihr gemacht?«
»Ich war drei Jahre alt. Was, glaubst du, hätte ich tun sollen?«
»Aber deine Mutter, eure Freunde, haben die denn nicht protestiert?«
»Meine Mutter hatte ein Kind zu versorgen«, antwortete ich und wich seinen Blicken aus. »Seinetwegen bekam sie keine Arbeit in dem Bereich, für den sie ausgebildet war. Sie musste die Kleider anderer Leute stopfen und putzen gehen. Es ist kein Wunder, dass sie wütend war.«
Ich brachte es nicht über mich, ihn anzusehen. Seine Augen, die immer mehr von mir wollten.
»Aber bist du denn nie zurückgefahren und hast versucht, ihn zu finden?«
Ich schüttelte den Kopf.
Im November 1989 war ich fünfzehn. Die Berliner Mauer war gefallen, im Fernsehen sah ich die Menschenmassen auf den PragerWenzelsplatz strömen, Menschen, die mit ihren Schlüsseln klimperten und immer mehr wurden, Hunderttausende, und ich dachte, ich würde ihn wiedererkennen, sobald ich sein Gesicht sähe. Ich erinnere mich an die Kameraaufnahmen, die auf einen grauen Wellblechschuppen zoomten, auf den jemand mit breiten, schwarzen Buchstaben geschmiert hatte: It’s over – Czechs are free!
Dann las ich in der Zeitung, dass man das Geheimarchiv der Polizei öffnen wollte. Meine Mutter weigerte sich, über die Sache zu sprechen. Sie dachte beim besten Willen nicht daran, zurückzukehren. Und außerdem, fügte sie hinzu, würde ich in den Archiven sowieso nicht fündig werden.
»Sie haben alle überwacht«, sagte ich. »Natürlich muss es Aufzeichnungen geben.«
»Diese Archive sind voller Lügen«, sagte sie.
»Das kannst du doch wohl nicht wissen, ehe du etwas davon gelesen hast.«
»Ach du, das weiß ich zu genau.«
Ich erinnere mich noch immer an den Geruch ihres Parfüms, wenn sie sich näherte. Ich fand sie hässlich. Ich wollte meinem Vater ähnlich sehen.
»Und weißt du, warum ich es weiß?«, zischte sie mir ins Ohr. »Weil dein sauberer Herr Papa gelogen hat. Er log darüber, wo er gewesen war. Er sprach von freier Liebe, und diese Freiheit bekam er auch. Politik interessierte ihn nicht, er wollte nur Gitarre spielen und in der Gegend herumvögeln. In all den Jahren lief er von einer Nachbarin zur nächsten, alle wussten davon, außer mir. Er wollte kein Kind, das die Windeln vollschiss und abends schrie.«
»Warum hast du dann diese Sache vom Gefängnis erzählt?«, schrie ich. »Du hast behauptet, er wäre im Gefängnis.«
Ich riss mich los und warf mich aufs Bett, zitternd und bebend über all das, was zerbrach.
»Er ist abgehauen«, sagte meine Mutter. »Er hat uns verlassen. Und ich musste dafür büßen. Ich war diejenige, die keinen Job bekam und allein mit einem Kind in diesem Rattenloch zurückblieb.«
An diesem Tag hörte ich auf zu fragen.
Patrick legte seine Hand an meine Wange. Zog mich in seine Arme. Ein warmer Duft von Olive und Aftershave.
Wie auch immer, jetzt ist sie tot, dachte ich, und nichts von dem, was früher geschah, spielt länger eine Rolle. Es ist nicht mehr da. Die Zeit lässt alles hinter sich. Nur das Jetzt existiert und Patrick, der mich gefragt hat, ob ich bei ihm einziehen möchte. Dies ist ein Nullpunkt.
Ich wunderte mich beinahe die ganze Zeit darüber, dass er da
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