Toedliche Hoffnung
den Blick, sah mich an, dann wieder Patrick, als wolle er vergleichen, unsere Gesichter gegeneinander abwägen.
»Er ist nicht der Täter«, sagte ich. »Sie sind auch hinter ihm her.«
Ich fixierte den Kommissar, zwang mich, ihm nicht auszuweichen. Ein schwarzer Mann. Diese Zeugen konnten mich mal. Sie sahen nur, was sie sehen wollten.
Aber Patrick war dort gewesen. Es könnte sein, dass sie ihn gesehen hatten, auch wenn sie seine Anwesenheit falsch deuteten. Es musste sich auf jeden Fall um ein Missverständnis handeln.
Ferreira streckte sich nach seiner Lesebrille und las aus einem Dokument auf seinem Bildschirm vor.
»Joana Rodrigues, siebenundzwanzig Jahre alt. Saß in einem Straßencafé am Largo das Portas do Sol und las in einem Lehrbuch.« Er klopfte mit dem Stift auf den Schirm. »Sie ist Psychologiestudentin und geht bei warmem Wetter oft in einen Park oder in ein Café, weil sie das enge Wohnheimzimmer mit einer Kommilitonin teilt und es keine schöne Aussicht hat ...« Er übersprang einige Zeilen im Text. »Es ist fünfzehn Uhr zehn, in etwa, als sie von draußen Tumult und Schreie hört und von ihrem Buch aufsieht. Dort steht ein Mann und starrt sie an, sie findet, dass er gehetzt aussieht. Hier kommt es.«
Der Kommissar sah mich über seine Brille hinweg an.
»Der Mann ist schwarz«, las er.
Ich spürte meinen Puls im ganzen Körper. Mein Mund war vollkommen trocken. Der Polizist schob die Brille wieder hoch und las weiter:
»Der schwarze Mann steht im Durchgang zur Terrasse, und im nächsten Augenblick ist er weg, jedenfalls laut der Aussage von Joana Rodrigues, Psychologiestudentin.«
Er beugte sich zurück und wedelte mit dem Stift vorm Computer herum. »Largo das Portas do Sol ist ein beliebter Ort in Alfama; Touristen kommen, um die Aussicht zu bewundern, Studenten, Liebespaare. Wir haben drei weitere Zeugen, die angeben, dort einen schwarzen Mann gesehen zu haben. Einer von ihnen ist sich sicher, dass er Michail Jetjenko über das Geländer gestoßen hat.«
»Das stimmt nicht.«
Ich schloss die Augen und öffnete sie wieder, doch der Albtraum ging weiter.
»Der Zeuge heißt António Nery, zweiundsiebzig Jahre alt, Rentner, geboren, aufgewachsen und noch immer wohnhaft in Alfama. Er war mit seinem Hund spazieren und befand sich ganz oben auf der Treppe neben der Aussichtsplattform, als Michail Jetjenko zwanzig Meter hinter ihm auf die Gasse stürzte. Dann kommt der schwarze Mann so auf ihn zugerannt, dass er ausweichen muss, genau dorthin, wo der Hund ...«
Ich sprang von meinem Stuhl auf.
»Patrick ist Journalist, zum Teufel. Sie wollten sich dort treffen. Rufen Sie seinen Auftraggeber in New York an, wenn Sie mir nicht glauben wollen.«
Kommissar Ferreira nahm seine Brille ab und klappte die Bügel ein. In seinem Blick lag nun eine gewisse Härte.
»Ihr Mann muss solche Menschen wie Michail Jetjenko gehasst haben, habe ich recht?«, sagte er und beugte sich über seinen Schreibtisch. »Wir haben das meiste über diesen Jetjenko schon von Interpol erfahren, ein rücksichtsloser, weißer Schurke, der mit Menschen handelte. Ein Sklavenhändler. Und Ihr Mann hasst doch Sklavenhändler?«
Ich dachte nicht daran, ihm eine entsprechende Reaktion zu gönnen, biss die Zähne zusammen. Der Kommissar lehnte sich wieder zurück und beobachtete mich.
»Vielleicht hat Jetjenko ihm gedroht?«, fuhr er fort. »Oder ihn als Nigger beschimpft? Das hörte er wahrscheinlich nicht so gern?«
»Sie sind ihm gefolgt«, sagte ich langsam und deutlich. »Es wareine Falle. Sie haben ihn in Paris auf der Straße zusammengeschlagen, damit er von dieser Story abließ. Sie waren hinter beiden her, hinter Jetjenko und Patrick, wollten zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, weil sie ihre Geschäfte gestört haben.«
»Schon möglich«, sagte Ferreira. »Aber meine Aufgabe besteht eben darin, alle Möglichkeiten zu prüfen.«
Er stand auf. Ich sah aus dem Fenster, auf die Wolken, die vorbeizogen.
»Darf ich mir davon eine Kopie machen?«, fragte er und hob das Foto hoch.
Ich kniff den Mund zusammen, nickte. Er ging aus dem Zimmer, ließ mich in Ruhe. Mir kamen die Tränen. Ich trat gegen den Schreibtisch, bis mir der Schmerz durchs Bein fuhr.
Elender Mist. Man kam nie davon weg. Ein schwarzer Mann war das Einzige, was sie sahen. Wenn es etwas gab, was mich an Patrick überhaupt nicht interessierte, dann war es seine Hautfarbe. Dass er schwarz war und ich weiß, war ein lächerlicher, unwesentlicher
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