Toedliche Intrige
»Hat meine Mutter vor, mich zu besuchen?« »Sie hat es nicht vor, sondern sie ist mit mir gekommen. Sie wartet draußen auf dich«, sagte er selbstgefällig. »Hier? Meine Mutter wartet hier draußen auf mich?« »Komm, meine Liebe«, sagte der Rechtsanwalt.
»Nenn mich nicht >meine Liebe<«, sagte ich. Er tat das manchmal, und es ging mir immer auf die Nerven. »In Ordnung«, sagte er.
»Ich habe kein Interesse daran, sie zu sehen.«
Ich hätte nicht schockierter sein können, wenn er mir gesagt hätte, mein Vater sei von den Toten auferstanden. Das Verhältnis zwischen meiner Mutter und mir war denkbar schlecht. Sie wollte nichts mit mir zu tun haben und ging mir aus dem Weg. Von meinem liebenswürdigen Bruder wusste ich, dass sie erklärt hatte, ich sei nicht mehr ihre Tochter.
»Natürlich möchtest du sie sehen«, sagte der Rechtsanwalt, der nichts über unser Verhältnis wusste. »Sie ist doch deine Mutter!«
»Nein«, sagte ich. »Sag ihr, sie soll gehen.«
Es verschlug ihm die Sprache.
»Sie ist zu mir gekommen«, sagte er nach einer ganzen Weile. »Ich musste mich ganz schön anstrengen, diesen Besuch zu arrangieren. Ich weiß nicht, was zwischen euch ist, darüber ist mir nichts bekannt, aber deine Mutter scheint mir eine sehr liebe Frau zu sein, die sich große Sorgen um ihre Tochter macht. Sprich mit ihr. Es wird dir gut tun.«
»Warum will sie mich sehen?«
»Frag sie selber«, sagte der Rechtsanwalt.
»Sie kann mich nicht ausstehen«, sagte ich.
»Sprich mit ihr«, sagte er. »Es wird dir gut tun.«
*
Sie war schlanker, als ich sie in Erinnerung hatte. Und sie war gealtert.
Da ich ihr sehr lange nicht von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden hatte, war das Bild, das ich von ihr im Gedächtnis hatte, ganz anders als die Wirklichkeit. Als sie jetzt vor mir stand, sah ich, wie übel die Zeit den Menschen mitspielt. Auch einer eleganten, schönen Frau wie Mama. Sie färbte sich das Haar immer noch blond und trug Lidschatten. Sie hatte Falten bekommen, das Gesicht wirkte länglicher, die Hände sahen alt aus und die Adern traten hervor. Sie versuchte zu lächeln, aber dabei kam nur eine Grimasse heraus.
»Sie durchsuchen einen hier«, sagte sie.
Sie grüßte nicht. Machte keinen Versuch, sich mir zu nähern oder mich in die Arme zu nehmen und mir ein paar tröstende Worte zu sagen oder mir einfach Vorwürfe zu machen. Sie beschwerte sich.
»Das war bestimmt unangenehm«, sagte ich. »Warum bist du gekommen?«
»Ich darf doch wohl meine Tochter besuchen, ohne irgendwelche Erklärungen abgeben zu müssen.«
»Das hast du bislang nicht getan.«
Sie verstummte. Wir schwiegen beide.
»Viel Zeit habe ich nicht bekommen«, erklärte sie.
»Nein«, sagte ich.
Dann schwiegen wir noch eine Weile. »Ich habe mit der Ärztin gesprochen«, sagte sie schließlich.
»Mit der Ärztin?«
»Mit der, die dich hier im Gefängnis besucht.« »Mit der Psychiaterin? Hast du die Psychiaterin angerufen?«
»Sie war sehr freundlich. Ich habe in der Zeitung gelesen, dass du auf deinen Geisteszustand hin untersucht wirst, wie sie es ausgedrückt haben. Was ich nicht alles über dich in den Zeitungen lese! Ich habe herausgefunden, wer dich behandelt, und dann habe ich sie angerufen.«
»Wie denn?«
»Na, ich habe einfach angerufen.«
»Nein, ich meine, wie hast du das herausgefunden?«
»Durch unseren alten Hausarzt. Sie ist mit ihm verwandt oder so etwas. Ich habe mir erlaubt, mit ihr zu sprechen. Sie schien nichts dagegen zu haben.«
»Warum hast du sie angerufen?«
»Ich wollte wissen, wie es dir geht.«
»Warum?«
»Was meinst du damit, warum? Du bist meine Tochter.«
»Die du unerträglich findest. Hast du das vergessen? Hast du vergessen, dass ich andersherum bin? Dass ich lesbisch bin?!«
»Es ist völlig sinnlos, so zu reden«, sagte sie. »Es ist sinnlos, sich so aufzuregen, nur weil ich mit dir reden möchte.«
Ich schaute sie an und stand kurz davor, meine angestaute Wut an ihr auszulassen. Sie mit meiner ganzen Angst und Wut, mit meinen Phobien und meiner Panikzu konfrontieren und ihr gehörig die Meinung zu sagen. Aber ich sagte nichts. Sie starrte auf einen Fleck irgendwo hinter mir, als würde sie sich nicht trauen, mir in die Augen zu blicken. »Entschuldige«, sagte ich.
»Hast du es getan?«, fragte sie. »Was da in den Zeitungen steht?«
»Bist du gekommen, um das in Erfahrung zu bringen?«
»Nein, ich glaube nicht daran, was die Zeitungen sagen. Ich glaube nicht, dass
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