Toedliche Intrige
ihre Stärke zu spüren, ihre beruhigende Stimme zu hören, sie sagen zu hören, dass sich alles einrenken würde. Ich sehnte mich danach, sie sagen zu hören, dass es bald vorüber sein würde. Dass alles vergraben und vergessen wäre und wir zusammen sein könnten, für immer. Ich brauchte sie so sehr, dass ich fast verrückt wurde. Ich versuchte wieder, bei ihr anzurufen. Ich versuchte, die tröstenden Worte zu finden, von denen ich wusste, dass sie sie für mich bereithielt, aber es war, als sei sie vom Erdboden verschluckt worden.
Sie war so viel stärker als ich. Sie brauchte mich augenscheinlich nicht in diesen entsetzlichen Zeiten. Sie nahm von sich aus keine Verbindung mit mir auf. Kein Wort. Gar nichts.
Das Letzte, was ich von ihr gehört hatte, war: Vertrau mir.
Ich ging zwar in die Niederlassung des Unternehmens in Reykjavik, aber ich war de facto arbeitsunfähig. Nach einer Besprechung, bei der ich völlig daneben war, rieten meine Kollegen mir, nach Hause zu gehen und mir Ruhe zu gönnen. »Nimm dir frei, du hast doch noch ein paar Tage Resturlaub.«
In der Zeit, bevor Tómas' Leiche gefunden wurde, wurde ich einmal von der Kriminalpolizei in Reykjavik vorgeladen. Es war angeblich eine Routinesache. Der Fall wurde als Vermisstenfall behandelt. In Akureyri sei keine Zeit gewesen, meine Aussage zu protokollieren. Das würde jetzt nachgeholt. Es war ein ganz sympathischer Kriminalbeamter, der mir das am Telefon sagte und mich fragte, ob ich am nächsten Vormittag bei ihnen hereinschauen könnte.
Bettý und ich hatten die Aussage zusammen geübt, und mir war völlig klar, dass ich nicht davon abweichen durfte, aber ich hatte keine Ahnung, was sie wussten, und ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, wonach sie fragen würden. Eigentlich konnten sie nichts wissen, aber trotzdem war ich davon überzeugt, dass ich allein durch mein Mienenspiel preisgeben würde, dass ich in kriminelle Machenschaften verstrickt war. Früher bin ich nie imstande gewesen, überzeugend zu lügen, sondern erst jetzt. Jetzt bin ich Meister darin.
Anscheinend hatten sie bereits mit Bettý gesprochen. Der eine der Beamten war Lárus, der mich später nochoft verhören sollte. Den anderen habe ich nie wieder gesehen. Ich glaube, Lárus nannte ihn Siguróur. Sie sprachen über einen Erlendur, glaube ich, als ich eintraf, und über ein Skelett, das man im Kleifarvatn-See gefunden hatte.
Sie fragten mich nach meiner Verbindung zu Leo. Ich erinnerte mich an Bettýs Worte und wiederholte, was sie gesagt hatte. Zwischen uns gab es keine andere Verbindung, als dass wir beide für Tómas gearbeitet hatten und uns über die rein geschäftlichen Verbindungen hinaus mit Bettý und Tómas angefreundet hatten. Tómas und Leo waren gute Freunde. Bettý und ich waren gute Freundinnen. Ursprünglich wollten wir das Wochenende zu viert verbringen, aber Leo war in letzter Minute etwas dazwischengekommen. Sie nickten zustimmend.
»Und er wollte den neuen Schlitten testen, Tómas meine ich?«
»Der Motorschlitten war ganz neu, soweit ich weiß.« »Ja, das stimmt«, sagte Lárus. »War sonst noch jemand dabei?« »Nein, niemand.«
»Nur ihr beiden Frauen und Tómas? Kam das häufig vor?«
»Nein. Leo war verhindert.«
»Ja, das stimmt, das hat Bettý auch gesagt.«
Ich dankte ihr im Stillen, dass ihr Leo eingefallen war. Sie hatte an alles gedacht.
»Tómas hatte diesen Wochenendtrip geplant«, sagte ich, und sie nickten zustimmend.
Sie fragten mich nach einigen Details, und ich war der Meinung, mich wacker geschlagen zu haben. Ich machte einen auf Betroffenheit, sprach leise und schaute sie mit besorgter, verzweifelter Miene an, hauptsächlich, um nicht nervös zu wirken und meine Angst zu unterdrücken.
Ich ging davon aus, dass Bettý, die trauernde Witwe, in Akureyri war, aber eines Tages erfuhr ich, dass sie sich in Reykjavik aufhielt. Verzweifelt versuchte ich, sie anzurufen. Wie zuvor ging niemand an den Apparat. Ich fuhr zu ihrer Villa im Þingholt-Viertel, aber drinnen waren weder Licht noch irgendwelche anderen Anzeichen menschlicher Anwesenheit zu sehen. Ich blieb vor dem Haus im Auto sitzen und wartete, aber sie ließ sich nicht blicken.
Ich benahm mich lächerlich, so komplett lächerlich, als hätte ich auch noch das letzte bisschen Verstand verloren, das ich besaß. Ich setzte sogar eine Sonnenbrille auf. Ich fuhr zum Hotel Saga und lag dort auf der Lauer. Ich weiß nicht, was ich mir dabei dachte. Ich wusste nicht, was
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