Toedliche Intrige
ich tun würde, wenn ich sie zu Gesicht bekäme. Würde ich aus dem Auto stürzen und zu ihr laufen? Würde ich ihr nachrufen?
Ich bekam sie nirgends zu Gesicht. Andere Orte in Reykjavik, wo sie sich aufhalten konnte, waren mir nicht bekannt. Wir hatten uns entweder im Hotel getroffen, in ihrer Villa oder zu Hause bei mir. Ich hatte ihr einen Schlüssel von meiner Wohnung gegeben, und manchmal war sie zu meiner freudigen Überraschung unangemeldet gekommen.
Ich wusste nicht, wie weit ich gehen durfte. Die Ungewissheit zermürbte mich. Konnte ich einfach ins Hotel gehen und nach ihr fragen? War das verdächtig? Konnte man mir später daraus einen Strick drehen? Warum durften wir nicht zusammen gesehen werden? Wir waren doch angeblich Freundinnen, bevor es passierte. Die Leute haben uns zusammen gesehen. Warum also nicht auch jetzt? Wirkte es nicht genauso verdächtig, wenn wir uns überhaupt nicht mehr trafen und die Verbindung zueinander abbrachen? Ich wollte Bettý nach all diesen Dingen fragen und sie sagen hören: Es kommt alles wieder in Ordnung.
Ich war so allein. Ich war so total entsetzlich allein.
Ich saß im Auto vor dem Hotel Saga und hing meinen Grübeleien nach, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Ich versuchte, es vor mir zu rechtfertigen, dass ich hineinging und mich nach Bettý erkundigte. Früher hatte ich das mit einem Lächeln im Gesicht getan. Jetzt konnte es gefährlich sein, oder? Aber was sollte eigentlich daran gefährlich sein? Wir waren Freundinnen. Wir konnten uns doch treffen. Ich durfte im Hotel nach ihr fragen. Wieso sollten wir dort nicht verabredet sein?
Ich stieg aus dem Auto. Gott sei Dank erinnerte ich mich daran, die Sonnenbrille abzunehmen, bevor ich das Foyer betrat. Dort war eine Frau, die ich nie zuvor gesehen hatte, und mein Herz tat einen erleichterten Sprung. Sie kannte mich nicht. Aber in dem Augenblick, als ich mich der Rezeption näherte, klingelte das Telefon, und sie nahm den Hörer ab. Aus einer Büronischedahinter erschien meine Freundin, die lächelnde Blondine mit dem großen Busen, die mir früher immer so nachgeblickt hatte, als sei ich auf dem Weg zu einer Sexorgie.
Es war zu spät, um einen Rückzieher zu machen. Sie hatte mich erblickt.
»Bettý ist nicht hier«, sagte sie in einem Ton, dass man es durchs ganze Foyer hören konnte.
Ich war stinkwütend auf mich, so dämlich zu sein. Dann wurde ich wütend auf sie. Als könnte ich nicht auch einen anderen Grund haben, ihr Hotel zu betreten, als Bettý zu treffen. Was ging es sie an, was ich da tat? Wieso mischte sie sich verdammt noch mal in mein Leben ein? Ich kannte die Person überhaupt nicht. Wenn ich ins Hotel kam, hatte ich manchmal aus lauter Höflichkeit eine Bemerkung über das Wetter gemacht oder etwas ähnlich Belangloses. Ich wollte gerade erwidern, dass ich mit jemand anderem in der Bar verabredet war, als sie auf einmal mit Tómas anfing.
»Ist das nicht schrecklich mit dem armen Tómas?«, faselte sie daher. »Einfach furchtbar, was da mit ihm passiert ist. Man muss doch so aufpassen, wenn man solche Touren unternimmt, das ist doch bekannt. Bei solchen Fahrten tun die Leute ja häufig völlig verrückte Dinge.«
Ich war mir nicht klar, ob sie wusste, dass ich auf dieser schicksalhaften Fahrt dabei gewesen war. Ich hatte aber keine Zeit, darüber nachzudenken.
»Bettý war vor drei Tagen hier, aber nur eine Nacht«, sagte sie, ohne dass ich sie danach gefragt hatte.
»Ach so«, sagte ich.
»Ja, die Ärmste war sehr deprimiert. Sie hat mich kaum gegrüßt.«
Nein, genau, dachte ich im Stillen. Bettý hat ja sonst mit Sicherheit besonders großen Wert darauf gelegt, mit dir dummen Gans zu quatschen.
Ich lächelte.
»Nett, dich zu treffen«, sagte ich und strebte ins Hotel. An der Ostseite gab es einen zweiten Ausgang, durch den ich entkommen konnte. »Ich habe hier eine Verabredung mit...«
»Jetzt kann sie gute Freunde gebrauchen«, sagte die Frau. »Es muss grauenvoll sein, wenn man in so etwas hineingerät.«
»Ja«, sagte ich, »ganz gewiss.«
»Deswegen ist es gut, wenn man gute Freunde hat«, fügte sie hinzu. »Ja.«
»Er kam früher auch manchmal ins Hotel«, sagte sie, »dieser Typ da, mit dem sie gekommen ist. Der sie abgeholt hat.«
»Wir sehen uns vielleicht...«, sagte ich und marschierte weiter in Richtung Speisesaal.
Ich wusste, dass sie mir nachstarrte, und ich versuchte, gelassen zu wirken. Ihre Stimme dröhnte mir noch im Kopf. Der sie abgeholt hat. Er kam
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