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Tödliche Jagd

Tödliche Jagd

Titel: Tödliche Jagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Higgins
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fing mich
auf, bevor ich zu Boden sinken konnte.
      »Nicht jetzt, Ellis – nicht jetzt, wo du's
doch schon so weit geschafft hast«, sagte er. »Denen zeigen
wir's. Wir beide gehen jetzt ganz allein, ohne fremde Hilfe, zur
Sanitätsbaracke.«
      Diese Aufmunterung hatte ich nötig, sie und die
Kraft seines rechten Arms. Wir schafften es aus eigener Kraft bis zum
Eingang und danach in leichtem, kalten Regen über den Hof zur
Sanitätsstation. Dort wurden wir wieder getrennt, und ich fand
mich nach einer warmen Dusche eingehüllt in ein großes
Badelaken in einem winzigen Raum wieder. Die Ärztin kam herein,
untersuchte mich kurz und gab mir dann in beide Arme eine Spritze.
      Ich lag da und starrte die Decke an, als ich
hörte, wie die Tür leise geöffnet wurde. Es war ein Tag
voller Überraschungen. Madame Ny besuchte mich. Sie hatte
Tränen in den Augen, kniete sich neben mein Bett und nahm meine
Hand.
      »Ich wußte nicht, daß sie Ihnen das
antun würden, Ellis. Ich wußte es wirklich nicht.«
      Aus irgendeinem unerfindlichen Grund glaubte ich ihr;
vielleicht war es auch so, daß es für mich auch keine Rolle
mehr spielte, aber wie dem auch sei, ich habe mich in Gegenwart einer
weinenden Frau noch nie wohl gefühlt.
      »Ist schon gut«, versuchte ich sie deshalb
zu trösten. »Ich bin heil da herausgekommen, oder etwa
nicht?«
      Sie begann hemmungslos zu weinen, vergrub ihr Gesicht
in dem Laken auf meiner Brust. Ganz vorsichtig fing ich an, ihr Haar zu
streicheln.

    Die folgenden Wochen hatten etwas Unwirkliches an sich, aber alles
wurde irgendwie zur Routine. Ich teilte immer noch das Zimmer mit St.
Claire, und jeden Morgen um sechs wurden wir zusammen in das
Schulungszentrum gebracht. Dort wurden wir getrennt und saßen
dann jeder für sich in einer kleinen Kabine, hatten Kopfhörer
auf und hörten uns endlose Tonbänder an.
      Das Schulungsprogramm lief nach dem immer gleichen
Schema ab. Zuerst Marx und Lenin, danach Mao Tse-Tung, bis er uns zum
Hals heraushing. Diese Indoktrinierung zeigte bei mir wenig Erfolg; bei
mir blieb kaum etwas hängen, obwohl ich zugeben muß,
daß ich Jahre danach an mir die Neigung festgestellt habe, bei
den meisten Diskussionen marxistische Terminologie zu verwenden. St.
Claire war mir dabei eine große Hilfe, denn er machte mich auf
die Schwachstellen in Maos Werken aufmerksam. Er sagte mir zum
Beispiel, daß Mao alles, was er über den Krieg schrieb,
einfach ohne Quellenangabe aus der 500 v. Chr. von Sun Tsu
verfaßten Schrift Über die Kriegskunst übernommen
hatte. Danach war es mir nie mehr möglich, einer Aussage dieses
großen alten Mannes vorbehaltlos Glauben zu schenken.
      Fünf Stunden am Tag wurden wir in Chinesisch
unterrichtet. Bei einer meiner vielen Befragungen durch Chen-Kuen sagte
er mir, das geschehe, um ein besseres Verständnis zwischen uns zu
ermöglichen, eine Erklärung, die mir nie recht einleuchtete.
Andererseits war ich schon immer gut in Sprachen gewesen und war auf
diese Weise beschäftigt.
      Am Nachmittag hatte ich dann immer lange Sitzungen mit
Madame Ny, erhielt von ihr »Instruktionen«, und am Abend
mußte ich St. Claire darüber in allen Einzelheiten
berichten. Dies war aber nicht unsere einzige Beschäftigung. Er
brachte mir Karate und Aikido bei, übte mit mir langwierige und
komplizierte Atemtechniken, und alles nur, um mich für den Tag fit
zu halten, an dem wir hier »die Flatter machen«
würden, wie er es ausdrückte.
    Er war ein Mensch mit vielseitigen
Interessen und breitem Wissen: Philosophie, Psychologie, Strategie von
Sun Tsu und Wu Ch'i bis Clausewitz und Liddell Hart, Literatur und vor
al lem die Poesie, für die er eine besondere Vorliebe hatte. Er
bestand darauf, daß wir uns auf chinesisch unterhielten und gab
mir sogar Unterricht auf seiner Gitarre.
      Jede Minute mußte ausgefüllt sein, um die
unbändige Energie, die in ihm steckte, irgendwie abzuleiten. Er
kam mir vor wie ein Tiger im Käfig, der nur auf die Gelegenheit
zur Flucht wartete.
      Ich habe einmal versucht, seine Persönlichkeit zu
beschreiben, und dabei fielen mir nur Worte ein wie geistreich,
anziehend, wagemutig, völlig ohne Skrupel und Moral. Alles, was
ich wußte und bis zum Schluß glaubte –, war,
daß er der vollkommenste Mensch war, den ich je kennengelernt
hatte. Wenn es jemanden gab, der völlig spontan lebte, mit einer
Spontaneität, die seinem ureigensten Wesen entsprang, dann ihn.

    Mein Verhältnis zu Madame Ny war

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