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Tödliche Jagd

Tödliche Jagd

Titel: Tödliche Jagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Higgins
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vielleicht das Seltsamste an dieser ganzen Geschichte.
      Ich wurde jeden Nachmittag in ihr Zimmer im zweiten
Stock des Klosters geführt. Draußen auf dem Gang standen
immer zwei Posten, aber drinnen waren wir allein.
      Es war, was mich jedesmal wieder überraschte, ein
recht gemütlich eingerichteter Raum, obwohl ich nun glaube,
daß dies mit Absicht so war. Chinesische Teppiche auf dem Boden,
ein moderner Schreibtisch mit Drehstühlen, ein Aktenschrank,
Aquarelle an den Wänden und eine sehr zweckmäßig
aussehende Psychiater-Couch mit schwarzem Lederbezug.
      Mir war gleich von Anfang an klar, daß es sich
um psychoanalytische Sitzungen handelte. Sie war darauf aus, mich zum
seelischen Striptease zu bewegen.
    Nicht, daß ich etwas dagegen hatte,
denn dieses Frage- und Antwortspiel – bei dem ich die mir passend
erscheinenden Antworten gab – machte mir bald ziemlichen
Spaß. Und um die Wahrheit zu sagen: Ich wollte auch gern bei ihr
sein, freute mich immer wieder auf ihre Gesellschaft.
      Von Anfang an wirkte sie ruhig und etwas distanziert;
sie bestand darauf, mich mit Ellis anzusprechen, kam aber nie, weder
mit einer Bemerkung noch mit einer Geste, auf ihren
Gefühlsausbruch an meinem Bett an dem Abend, als ich aus der Box
geholt worden war, zurück.
      Aber die Erinnerung an jenen seltsamen Traum konnte
ich nicht aus meinem Gedächtnis streichen. Es war eine so reale
erotische Phantasie, daß es genügte, daß sie sich
erhob und dehnte oder am Fenster stand, um meinen Puls zu
beschleunigen.
      Mir machte es kaum etwas aus, wenn sie mich mit ihren
Fragen löcherte. Sie interessierte sich für meine Kindheit
und mein Verhältnis zu meinem Großvater, meinen schulischen
Werdegang, besonders aber für die Jahre in Eton. Sie schien
erstaunt darüber, daß ich dort nicht schwul geworden war,
und stellte bohrende und teilweise hirnrissige Fragen nach
Selbstbefriedigung, die mich nur dazu veranlaßten, sie auf den
Arm zu nehmen.
      Das dauerte ungefähr einen Monat, bis ich merkte,
daß sie immer ungeduldiger mit mir wurde. Eines Tages stand sie
nach einem besonders schwachen Scherz von mir plötzlich auf, zog
ihre Uniformjacke aus, ging ans Fenster und sah so verärgert
hinaus, wie ich sie noch nie gesehen hatte.
      Sie stand schräg zu meiner Blickrichtung, und so
blieb mir nicht verborgen, daß sie sehr wohl ohne eine solche
Errungenschaft der westlichen Zivilisation wie den Büstenhalter
auskommen konnte. Ich sah, wie die Sonnenstrahlen die Wölbung
ihrer Brust unter dem dünnen Baumwollstoff nachzeichneten.
    »Jeder Mensch hat im Grunde drei
Persönlichkeiten«, sagte sie nach einer Weile. »Die,
die die anderen in ihm sehen, die, die er selbst zu sein glaubt, und
die, die er in Wirklichkeit ist. Ihr großer Fehler ist, daß
Sie die Menschen nach dem äußeren Anschein beurteilen,
Ellis.«
      »Ist das tatsächlich so?« fragte ich
mit gespielter Überraschung. Sie wandte sich wütend zu mir
um, sichtlich bemüht, nicht die Beherrschung zu verlieren, und
ging zur Tür. »Kommen Sie mit.« Wir gingen nicht sehr
weit. Durch eine Tür am Ende des Ganges kamen wir auf eine Arkade,
von der aus man hinunter in die Haupthalle des alten Tempels blicken
konnte. Ich sah eine Buddha-Statue, flackernde Kerzen und eine Gruppe
von Zen-Mönchen in gelben Gewändern, die Gebete murmelten.
      Madame Ny flüsterte. »Wenn ich Sie fragen
würde, wer Kommandant von Tay Son ist, dann würden Sie mir
doch bestimmt antworten: Oberst Chen-Kuen von der Volksarmee.«
    »Ja. Aber was soll die Frage?«
    »Der Oberst ist da unten.«
      Die Mönche hatten sich auf ein Zeichen ihres
Abtes erhoben. Der Abt, eine eindrucksvolle, in eine safrangelbe Robe
gehüllte Gestalt, blickte in diesem Augenblick nach oben und sah
mir direkt ins Gesicht, bevor er weiterschritt. Es war Oberst
Chen-Kuen.
      Schweigend gingen wir in Madame Nys Zimmer
zurück. Ich setzte mich auf meinen Platz, und sie sagte: »Es
ist alles nie so, wie es den Anschein hat. Und Ellis Jackson bildet da
keine Ausnahme.«
      Ich enthielt mich einer Antwort. Kurz darauf kam eine
Ordonnanz herein und brachte wie üblich die Teekanne und winzig
kleine Tassen. Ich freute mich immer auf diesen Moment, denn der Tee
war eine willkommene, köstliche Erfrischung. Madame Ny reichte mir
wortlos eine Tasse, ich trank den ersten, großen Schluck mit
einem wohligen Seufzer und wußte sofort, daß ich in
Schwierigkeiten war.
    Mir schien, als wäre ich in einer
anderen

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