Tödliche Jagd
sich
kurz auf chinesisch.
»Wir müssen sofort abfahren«, sagte
Chen-Kuen. »Ich bin sowieso schon später dran als geplant.
Du bleibst hier und regelst alles. Ich verlasse mich auf dich. Wir
sehen uns dann morgen.«
»Und was ist mit dem alten Mann? Soll ich ihn mitnehmen, oder macht er hier weiter wie bisher?«
Chen-Kuen schüttelte den Kopf. »Das hier
nützt uns jetzt nichts mehr. Was Pendlebury betrifft
…« Er seufzte und sein Blick drückte tatsächlich
so etwas wie Bedauern aus. »Ein gebrochener Mann. Er hat seinen
Glauben verloren, und das ist immer gefährlich.«
»Genauso wie mit dem anderen?« vergewisserte sich PaiChang.
»Ich glaube, das wäre das
Vernünftigste.« Außer uns dreien befand sich niemand
sonst noch im Zimmer. Ich versuchte mich zu bewegen, was sofort
Chen-Kuens Aufmerksamkeit erregte. Er nickte Pai-Chang zu, der
daraufhin zu mir herübereilte und mich einfach auf die
Füße stellte, als wäre nichts dabei.
»Mein lieber Ellis, Sie sollten
sich setzen«, empfahl mir Chen-Kuen. »Sie sehen
nämlich nicht so gut aus.«
Pai-Chang drückte mich auf einen Stuhl, und
Chen-Kuen nahm auf der Schreibtischkante Platz. »Immer noch der
alte Ellis – genauso gewalttätig und unberechenbar wie
früher. Wie viele Tote haben Sie denn in Marsworth Hall
zurückgelassen?«
»Nur einen. Den Kerl, den Ihr Freund Pendlebury
bestochen hat, damit er mich um die Ecke bringt. Sie hätten sich
doch bestimmt einen anderen aussuchen können als diesen
Schwachkopf. Auf diesen Schauspieler würde sich doch kein
vernünftiger Mensch auch nur einen Augenblick lang
verlassen.«
Er seufzte. »In meinem Geschäft muß
man sich der Werkzeuge bedienen, die sich einem anbieten, und
Pendlebury war für uns ohne jeden Zweifel recht nützlich. Ich
würde ihn im übrigen nicht unterschätzen. Hunderte von
denen, die ihn hier aufgesucht haben, sehen in ihm einen neuen
Messias.«
Ich überhörte diese Bemerkung. »Was haben Sie mit St. Claire gemacht?«
Er flüchtete sich nicht erst in Ausreden, weil
das vermutlich auch wenig Sinn gehabt hätte. Er sagte einfach:
»Also gut, Ellis, spielen wir mit offenen Karten. Sagen Sie mir,
wie die Dinge stehen.«
»Mit Vergnügen. Sie sind erledigt. Die
richtigen Leute wissen zum Glück jetzt über Sie Bescheid.
Ihre Stunden sind gezählt.«
Er schien nicht im geringsten beeindruckt, stand nur
auf und verließ den Raum; Pai-Chang blieb als Aufpasser bei mir.
Ich versuchte, meine Handgelenke in eine bequemere Stellung zu bringen,
doch ohne Erfolg, da sie mit ziemlich dünner Schnur
zusammengebunden waren, die recht schmerzhaft ins Fleisch schnitt. Beim
ersten Anzeichen einer Bewegung kam Pai-Chang zu mir herüber und
kontrollierte meine Fesseln.
Zufrieden mit dem Ergebnis der
Überprüfung ging er zurück zum Schreibtisch, nahm sich
eine Zigarette aus dem Etui und ließ mich allein mit meinen
düsteren Gedanken. Ich konnte es drehen und wenden, wie ich
wollte, ich steckte ganz schön im Schlamassel.
Kurz darauf kam Chen-Kuen zurück und setzte sich
wieder auf den Schreibtisch. Er lächelte freundlich. »Alles
geklärt, Ellis.«
»Was meinen Sie damit?«
»Ich bin nun genauestens über die Lage
informiert. War ganz einfach. Habe mich nur kurz mit Dr. St. Claire
unterhalten, sie über die unangenehmen Konsequenzen für Sie
aufgeklärt, wenn sie mir nicht die Wahrheit sagt. Sie beide sind
die einzigen, die etwas von Pendlebury und Sargon House wissen.«
Er schüttelte bedauernd den Kopf. »Sie waren nicht gerade
ehrlich zu mir.«
Mir kam das alles so vor, als würde ein
gestrenger Schulmeister einen unartigen Jungen zurechtweisen. Am
liebsten hätte ich ihm einige Schimpfwörter an den Kopf
geworfen, aber was hätte das schon gebracht?
»Und was passiert jetzt?«
»Das Mädchen kommt mit uns mit. Eine kleine
Überraschung für ihren Bruder. Was Sie angeht, Ellis
…« Wieder seufzte er. »Diesmal müssen wir aber
wirklich das zu Ende bringen, was wir einmal angefangen haben.«
»In der ganzen Sache war doch aber von Anfang an
der Wurm drin. Die Chancen, daß Sie damit durchkommen, waren doch
allerhöchstens fifty-fifty.«
»Trotzdem lohnte es sich, das Risiko einzugehen.
Es wäre eine sehr elegante Lösung gewesen, wenn St. Claire
offiziell für tot erklärt worden wäre. Aber wir
mußten schnell handeln, das war das Problem. Wir gerieten in
Zugzwang, konnten deshalb nicht in Ruhe alle Vorbereitungen
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