Tödliche Küsse
gut«, fügte er, während er das Gespräch verfolgte, anerkennend hinzu. »Langsam und gründlich.«
»Ja, sie wird es sicher noch weit bringen«, antwortete Eve geistesabwesend, während sie bereits darauf lauschte, was Morse der Polizistin gegenüber gesagt hatte.
Dann sah ich, dass es ein Mensch war. Eine Leiche. Gott, all das Blut. Da war so viel Blut. Überall. Und ihre Kehle… dann wurde mir schlecht. Man konnte es riechen – mir wurde einfach übel. Ich konnte nichts dagegen tun. Dann rannte ich ins Haus und rief um Hilfe.
»Das ist der Kern seiner Aussage.« Eve legte nachdenklich ihre Finger gegeneinander. »Okay, jetzt geh mal zu der Stelle, an der ich mit ihm gesprochen habe, nachdem die Mitternachtssendung abgebrochen wurde.«
Er war immer noch bleich, aber inzwischen hatte er wieder sein typisches herablassendes Lächeln auf den Lippen. Wie zuvor bereits Peabody hatte sie ihn aufgefordert, seine Erlebnisse genau zu schildern und beinahe identische Antworten bekommen. Mit ruhigerer Stimme, was – da eine gewisse Zeit vergangen war – nicht weiter überraschte.
Haben Sie die Leiche berührt?
Nein, ich – nein. Sie lag einfach dort, und in ihrer Kehle klaffte ein riesiges Loch. Ihre Augen. Nein, ich habe sie ganz sicher nicht berührt. Mir wurde schlecht. Das können Sie wahrscheinlich nicht verstehen, Dallas. Es war einfach eine normale menschliche Reaktion. All das Blut, ihre Augen. Gott.
»Beinahe dasselbe hat er gestern noch mal zu mir gesagt«, murmelte Eve. »Niemals würde er ihr Gesicht vergessen. Ihre Augen.«
»Tote Augen haben auch etwas Gespenstisches. Sie können einen verfolgen.«
»Ja, Louises verfolgen mich bis heute.« Eve sah Feeney ins Gesicht. »Aber in der Tatnacht hat niemand ihre Augen gesehen, bis ich bei ihr ankam, Feeney. Die Kapuze war ihr über das Gesicht geglitten. Niemand hat ihre Augen gesehen, bevor ich die Kapuze zurückgeschoben habe. Niemand außer dem Mörder.«
»Himmel, Dallas. Du glaubst doch wohl nicht ernsthaft, dass ein kleiner Fernsehtyp wie Morse in seiner Freizeit irgendwelchen Frauen die Kehle aufschlitzt. Wahrscheinlich hat er die Augen nur erwähnt, um mehr Eindruck zu schinden, um sich wichtig zu machen.«
Sie verzog den Mund zu einem Lächeln, das weniger amüsiert als vielmehr böse war. »Ja, er macht sich gerne wichtig, nicht wahr? Er steht gerne im Mittelpunkt. Was machst du als ehrgeiziger, skrupelloser, zweitrangiger Reporter, Feeney, wenn du keine gute Story hast?«
Er pfiff leise auf. »Du machst dir eine selber.«
»Lass ihn uns überprüfen. Lass uns nachsehen, wo der Knabe herkommt.«
Kurz darauf hatte Feeney den Lebenslauf des Frettchens zusammengestellt.
C. J. Morse war vor dreiunddreißig Jahren in Stamford, Connecticut, geboren. Das war die erste Überraschung. Eve hatte ihn deutlich jünger eingeschätzt. Seine verstorbene Mutter war Leiterin der Abteilung für Computerwissenschaften am Carnegie Melon gewesen, wo ihr Sohn auch mit einem Master sowohl in Journalistik wie auch in Computerwissenschaft graduiert hatte.
»Cleverer kleiner Scheißer«, bemerkte Feeney. »Zwanzigster in seiner Klasse.«
»Ich frage mich, ob das gut genug gewesen ist.«
Im Anschluss an das Studium hatte er die Sender gewechselt wie andere das Hemd. Ein Jahr in einer kleinen Klitsche in der Nähe von Stamford, dann sechs Monate bei einem Satellitensender in Pennsylvania, beinahe zwei Jahre bei einem angesehenen Kanal in New Los Angeles und schließlich ein kurzes Intermezzo bei einem halbgaren unabhängigen Sender in Arizona, ehe er in den Osten zurückgekehrt und dort nach einer kurzen Phase in Detroit nach New York gekommen war. Hier hatte er nach seinem Start bei All News 60 zu Channel 75 gewechselt und hatte dort den Aufstieg vom Klatschkolumnisten zu den Nachrichten geschafft.
»Der Gute hält es anscheinend nie lange irgendwo aus. Mit drei Jahren hält Channel 75 eindeutig den Rekord. Und nirgends in seinem Lebenslauf wird der Vater auch nur mit einem Wort erwähnt.«
»Nur die Mama«, meinte Feeney. »Eine erfolgreiche, angesehene Mama.«
Eine tote Mama, dachte Eve. Sie müssten sich die Zeit nehmen zu überprüfen, wie sie gestorben war.
»Wie sieht es mit seinem Strafregister aus?«
»Keins vorhanden«, erklärte Feeney und runzelte die Stirn. »Ein durch und durch sauberer Bursche.«
»Und wie steht’s mit Jugendsünden? Aber hallo«, entfuhr es ihr, als sie die Daten las. »Die Akte ist versiegelt, Feeney. Was, meinst du, hat
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