Tödliche Liebe: Roman (German Edition)
sitzt du da, arbeitest du, denkst die Sache durch, berücksichtigst alle Umstände und entwirfst ein Szenario, das stimmt. Ich glaube, Jeff hat sie.«
»Jeff.« Fran erstickte fast an ihrem Whiskey. »Du bist verrückt. Jeff hat Dee verehrt, und er ist harmlos wie ein Baby. Er hat ihr nie weh getan.«
»Darauf baue ich auch«, sagte er matt. »Das kannst du mir glauben. Ich brauche jetzt alles, was du von ihm hast, Fran. Persönliche Aufzeichnungen, Merkzettel, Akten. Ich brauche deine Eindrücke, deine Beobachtungen. Ich brauche dich, damit du mir hilfst.«
Sie sagte nichts, sah ihn nur prüfend an. Seine Augen waren alles andere als kalt, stellte sie fest. Sie glühten. Und dahinter verbarg sich seine Angst. »Gib mir zehn Minuten«, sagte sie, und ließ ihn allein.
Mit einem Berg von Akten und einer Kiste mit Disketten kam sie kurz darauf zurück. »Seine Arbeitskarte, Lebenslauf, Bewerbungsunterlagen, Lohnsteuerkarte.« Fran lächelte dünn. »Ich habe ihm sogar seinen Schreibtischkalender stibitzt. Er bewahrt sie von Jahr zu Jahr auf und hat alles abgeheftet.«
Pedantisch. Besessen. Obwohl es ihn schauderte, öffnete Finn die erste Diskette.
»Das ist seine persönliche Akte von der CBC. Ich hoffe, es macht dir nichts aus, gegen das Gesetz zu verstoßen.«
»Nicht die Bohne. Diese Bewerbung ist von April neunundachtzig. Wann ging Dee bei der CBC auf Sendung?«
»Ungefähr einen Monat davor.« Fran griff nach dem Whiskey, um den Kloß im Hals zu lösen. »Das beweist gar nichts.«
»Nein, aber es ist eine Tatsache.« Und auf der ließ sich alles weitere aufbauen. »Er hatte damals dieselbe Adresse wie heute. Wie konnte er sich ein solches Haus leisten, wenn er als Laufbursche beim Rundfunk gearbeitet hatte?«
»Er hat es geerbt. Sein Onkel hinterließ es ihm. Finn, ich mußte Dees Familie anrufen.« Sie drückte eine Hand an ihren Mund. »Sie nehmen die erste Maschine.«
»Tut mir leid.« Er starrte auf den Bildschirm. Familien. Er hatte nie eine Familie gehabt; es gab keinen Menschen, um den er sich hätte kümmern müssen. »Vielleicht hätte ich bei ihnen anrufen sollen.«
»Nein, so war das nicht gemeint. Ich dachte nur … Ich weiß nicht, was ich ihnen sagen soll.«
»Sag ihnen, wir sind dabei, sie zurückzuholen. Das entspricht der Wahrheit. Fran, sieh mal nach, ob du den Tag in seinem Kalender findest, an dem Lew McNeil ermordet wurde. Das war im Februar zweiundneunzig.«
»Ja, ich erinnere mich.« Sie öffnete das Buch, blätterte die Seiten durch, überflog Jeffs ordentliche, präzise Notizen. »Wir haben an jenem Tag eine Sendung aufgezeichnet. Jeff führte die Regie. Ich erinnere mich noch daran, weil wir Schnee hatten und alle befürchteten, daß wir nicht genug Publikum im Studio hätten.«
»Erinnerst du dich noch, ob er hereinkam?«
»Na klar, er war hier. Er fehlte doch nie. Sieht so aus, als hätte er um zehn Uhr ein Treffen mit Simon gehabt.«
»Die Zeit hätte ausgereicht«, murmelte Finn.
»Allmächtiger Gott, glaubst du wirklich, er hätte nach New York fliegen, Lew erschießen, wieder zurückkommen und ins Studio hineintanzen können, um Regie zu führen? Und das alles vor dem Mittagessen?«
Ja, dachte Finn kühl. O ja, das konnte er. »Tatsache ist: Lew wurde um sieben Uhr Central Time getötet. Zwischen Chicago und New York besteht ein Zeitunterschied von einer Stunde. Bleiben wir mal bei dieser Theorie. Er fliegt hin und zurück, chartert vielleicht sogar eine Maschine. Ich benötige seine Belege.«
»Seine persönlichen Sachen bewahrt er hier nicht auf.«
»Dann muß ich noch einmal zu seinem Haus. Du vergewisserst dich, ob er morgen früh kommt. Und wenn er kommt, dann sorg dafür, daß er auch bleibt.«
Sie stand auf und goß Kaffee in ihren Whiskey. »Alles klar. Was noch?«
»Schauen wir mal, was wir sonst noch finden können.«
Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren. In der klaustrophobischen Welt, die Jeff für sie geschaffen hatte, war es bedeutungslos, ob gerade Tag oder Nacht war. Die Droge hatte ein wattiges Gefühl in ihrem Kopf zurückgelassen und sie hatte ein flaues Gefühl im Magen, doch sie aß das Frühstück, das er für sie dagelassen hatte. Den glatten weißen Umschlag, den er für sie auf ihr Tablett gelegt hatte, öffnete sie nicht.
Für eine unbestimmte Zeit widmete sie sich dem schweißtreibenden Unterfangen, in der Wand eine Öffnung zu finden. Mit einem Löffel hatte sie herumgestochert, bis ihre Finger sich verkrampften und zu
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