Toedliche Luegen
schweigend über sich ergehen. Unter gesenkten Lidern beobachtete er voller Anspannung die junge Frau.
„ Das sind Sie in der Tat. Alle Achtung, Sie haben sich kaum verändert. Wann wurde diese Aufnahme gemacht?“ Sie sah auf die unbeschriebene Rückseite. „Bestimmt vor einer Ewigkeit“, murmelte sie vor sich hin. „Meine Mutter kenne ich so lediglich von Fotos.“
„ Sie waren damals noch nicht geboren. Es ist … fünfundzwanzig Jahre her.“ Behutsam fasste er Beate am Ellbogen und dirigierte sie unauffällig auf die andere Straßenseite.
Sie schaute einen kurzen Moment von dem Bild auf und murmelte: „Ach ja? Und weiter? Erwarten Sie, dass ich frage, ob Sie damals mit meiner Mutter fremdgegangen sind? Dass ich deshalb die Hände vor Entsetzen über dem Kopf zusammenschlage? Tja, dann muss ich Sie leider enttäuschen. Es interessiert mich nämlich nicht die Bohne. Außerdem bin ich mit vierundzwanzig alt genug, um zu wissen, wie das mitunter so läuft.“
Nichtsdestotrotz gab es ihr einen befremdlichen Stich ins Herz. Die Ehe ihrer Eltern erschien in der Öffentlichkeit immer perfekt und vorbildlich. Und nun fiel innerhalb von Sekunden dieses Trugbild wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Ein einziges Foto und die kühne Behauptung eines Fremden genügten, um die Illusion einer idealen Beziehung ihrer Eltern wie eine Seifenblase platzen zu lassen. Wer hätte das gedacht?
„ Es geht um Sie.“
Sie schenkte ihm ihren besten Das-glaube-ich-nun-aber-gar-nicht-Blick und ergänzte lahm: „Wie schon gesagt, die Seitensprünge meiner Mutter gehen mich nicht das Geringste an.“ Hab nämlich genug mit meinen eigenen zu tun. „Nein, Monsieur, wirklich nicht. Mag sein, dass Sie meine Mutter kennen und sie nicht bloß zufällig auf dieses Bild geraten ist. Möglich sogar, dass Sie älter sind, als Sie aussehen …“
M it dem Handrücken wischte sie sich den Schweiß von der Stirn und betrachtete sie angewidert. Dann blickte sie sich verblüfft um. Sie hatte nicht bemerkt, dass sie mittlerweile in einer belebten Einkaufsstraße angelangt waren, die ihr ziemlich fremd vorkam.
„Wo sind wir hier?“
„Beate, ich möchte Ihnen ein Geschenk machen, eine kleine Entschädigung für den Umweg über Berlin, den Sie meinetwegen auf sich nehmen mussten. Sie wollten Ihre Freundin in Leipzig besuchen, nicht wahr?“
Pierre Germeaux erwartete keine Antwort. Er h atte noch nie etwas davon gehalten, sich auf die Unwägbarkeiten des Zufalls zu verlassen. Er war Perfektionist und hatte seit einem eklatanten Fehltritt in früher Jugend nichts, absolut gar nichts mehr dem Zufall überlassen. Dabei hatte es ihn nicht einmal sonderlich Mühe gekostet, sich für dieses Unternehmen alle notwendigen Informationen zu beschaffen. Beates Pläne waren für ihn kein Geheimnis, waren es nie gewesen und würden es jetzt, da er die Angel ausgeworfen hatte, erst recht nicht sein. Mit allen Mitteln würde er dies zu verhindern wissen. Er hatte sie zu einem Teil seines akribisch durchdachten Vorhabens gemacht, mit dem er die Folgen dieser einen Fehlentscheidung für immer auszumerzen gedachte.
Zielgerichtet steuerte er die nächste Ladentür an. Noch ehe Beate einen scheuen Blick auf die Auslagen im Schaufenster werfen konnte – nur um dann festzustellen, dass sowieso keine Preisschilder an den exotischen Fummeln klebten –, hatte er bereits die Tür geöffnet und sie zu sich gewunken.
Ihren ausgewaschenen Lieblingspullover, die Jeans und abgelatschten Stoffschuhe in einer der Tüten verstaut, verließ Monsieur Germeaux mit einer sich selbst fremden jungen Dame am Arm das Geschäft. Innerhalb kurzer Zeit hatte sich das hässliche Entlein namens Beate in einen stolzen Schwan verwandelt. Vor einer Stunde in der Boutique noch verächtlich gemustert und wahrscheinlich lediglich dank Germeaux’ Gegenwart und dessen platinfarbener Kreditkarte geduldet, fiel sie beim Betreten des dreistöckigen Hotels mit der klassizistischen Fassade inmitten der Fuchspelze und Diamanten, Rolex-Uhren und Designeranzüge kaum mehr auf.
„ Ich habe zwei Zimmer für uns reserviert. Sie hatten nicht vorgehabt, heute weiter nach Leipzig zu reisen?“
Auch nach dieser Frage wartete er lediglich den Bruchteil einer Sekunde – zu wenig für eine Antwort, die er ohnehin nicht benötigte –, sondern erkundigte sich zuvorkommend: „Sicher möchten Sie sich nach der Reise etwas erfrischen. Darf ich Sie in einer halben Stunde zum Diner abholen?“
Mit einer
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