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Toedliche Luegen

Toedliche Luegen

Titel: Toedliche Luegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansi Hartwig
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bereute oder vergessen hatte.
    Dabei hätte sie gut etwas mehr Freundlichkeit vertragen. Aber das war offenbar zu viel verlangt. Sie konnte zumindest einen der Gründe erahnen, weswegen Alain ihr aus dem Weg ging. Wenngleich ihr die Frage auf den Nägeln brannte, fand sie nicht den Mut, sich zu erkundigen, wie weit die Polizei inzwischen mit den Ermittlungen in seinem Fall gekommen war.
    Und plötzlich wurde ihr mit Schrecken klar, dass sie alles von Alain wissen wollte. Sie wollte etwas über seine Vergangenheit, seine Gegenwart und sogar seine Zukunftspläne erfahren. Sie wollte wissen, ob er das Meer so liebte wie sie, ob er gerne Schokolade naschte und welche Bücher er las. Ob ihm Blumen wirklich nicht gefielen und welchen Klingelton er für sein Handy gewählt hatte. Vor allem aber wollte sie die Geheimnisse ergründen, die sich hinter jedem einzelnen, noch so kleinen Lächeln verbargen, das seine Züge erhellte.
    In Gedanken versunken rührte sie in ihrer halb vollen Tasse Kaffee. Ein komischer Kauz, in der Tat. Sie wusste einfach nicht, woran sie mit Alain war. Es erschien ihr absolut unmöglich, ihn in eine ihrer Schubladen menschlicher Charaktere zu stecken. Und sie kannte Typen in wahrlich rauen Mengen.
    Alain Germeaux indessen passte nirgends.
    Und aus eben diesem Grund würde ihr dieser Mann keine Ruhe lassen.
     
    Pierre Germeaux kehrte an jenem Abend im Spätherbst nicht mehr aus Brest zurück. In einem kurz angebundenen Telefonanruf teilte er Beate mit, dass die Verluste an Ladung größer seien und sich die Verhandlungen mit der Versicherung schwieriger als erwartet gestalteten. Hastig fügte er an, er würde sich am nächsten Tag wieder bei ihr melden.
    Seufzend legte sie den Telefonhörer auf. Ihr Vater hatte ungewöhnlich nervös und abweisend geklungen. Dabei hatte sie sich darauf gefreut , mit ihm erst ein wenig zu plaudern, um danach behutsam die Rede auf ihr erfolgreiches Vorstellungsgespräch zu bringen. Das Gefühl der Einsamkeit traf sie wie so oft mit der Wucht eines Vorschlaghammers. Zu Hause hätte sie jetzt ganz fix eine Kanne des berüchtigten „Mörder-Kaffees“ gekocht und sich in den Armen einer ihrer Freundinnen ausgeheult.
    Aber hier? Sie fühlte sich nicht bloß allein , korrigierte sie sich, sondern völlig fremd und deplatziert. Und für Alain gar war sie nichts anderes als ein lästiger Eindringling, unerwünscht und widerwillig höchstens deshalb geduldet, weil dies das Haus seines Bruders war und er kein Recht hatte, sie vor die Tür zu setzen.
    Diese Erkenntnis, einzig auf die Gnade von Pierre Germeaux angewiesen und ihm damit auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein, machte ihr urplötzlich Angst. Was wollte sie eigentlich hier? Sie war davongerannt, feige den in Deutschland aufgetürmten Problemen aus dem Weg gegangen, und hatte dabei ganz übersehen, dass es dort Freunde gab, die ihr den Rücken stärken und helfen konnten.
    Ihre Mutter hatte Recht, sie war dermaßen starrköpfig, dass sie sich nicht einmal eigene Fehler eingestehen konnte, geschweige denn versuchte, sie zu beheben.
    Eine Stunde blieb ihr noch bis zum Essen, das im Hause Germeaux stets zur selben Zeit in dem großen, unpersönlich wirkenden Speisezimmer im Erdgeschoss eingenommen wurde. Beate zog das obere Fach ihres Nachttischchens auf und holte ein edel gebundenes Tagebuch hervor. Ein wehmütiger Zug lag um ih ren Mund, als sie über den weichen Ledereinband strich.
    Sie ha tte ihrer Freundin Suse zum Abschied ein ganz ähnliches Buch geschenkt und sie gebeten, alle Eindrücke und Erlebnisse während ihrer Fahrenszeit bei der Handelsflotte für sie zu notieren. Im Gegenzug wollte sie aufschreiben, was ihr in Paris widerfahren würde. Es war bereits viel zu viel passiert, was sie nicht erklären konnte.
    Mit untergeschlagenen Beinen hockte sie auf dem dicken Teppich vor ihrem Bett und füllte in der folgenden Stunde Seite um Seite in ihrem Tagebuch. Dabei ließ sie die Ereignisse während der ersten Tage ihres Aufenthaltes in Pari s Revue passieren.
    Und wie jedes Mal beim Gedanken an Alain und sein distanziertes Verhältnis zu ihr, an seine offen zur Schau getragene Ablehnung und gefühllose Ignoranz geriet ihr Blut in Wallung.

1 5. Kapitel
     
    Wie sie bereits befürchtet hatte, trug die unterkühlte Atmosphäre beim Abendessen nicht zu einer Besserung ihrer Laune bei. Minutenlang schwiegen Beate und Alain, während sie übertrieben eifrig ihre Teller leerten und Juliette nach der Suppe zwei

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