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Toedliche Luegen

Toedliche Luegen

Titel: Toedliche Luegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansi Hartwig
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man alleingelassen wurde.“
    „Ich habe es nie anders gekannt. Alleingelassen zu werden ist quasi mein zweiter Name.“
    „Sie haben dich doch geliebt? Pierres Eltern , meine ich.“
    „Seine Mutter lebte damals schon nicht mehr. Und Henri war ständig in Geschäften unterwegs , sodass ich wohl vor allem von Kindermädchen erzogen wurde, bis ich alt genug war, um ins Internat verfrachtet zu werden.“
    „Zumindest ha t dir Henri Germeaux ein Zuhause geboten und eine ordentliche Ausbildung ermöglicht.“
    Alain zuckte gleichmütig mit den Schultern. „Ja, das Waisenhaus blieb mir erspart und dafür bin ich Henri wirklich dankbar. Auch für meine geistige und körperliche Entwicklung war ihm nichts zu teuer. Der alte Germeaux, musst du wissen, hatte sich trotz seines Reichtums eine gewisse soziale Ader bewahrt. Da er genug Personal im Haus beschäftigte, hat man mich der Einfachheit halber nach dem Tod meiner Mutter gleich hier behalten. Damit ist er lästigen Fragen und langwierigen Untersuchungen aus dem Weg gegangen. Welch segensreichen Vorteil ein Name und Geld doch haben können.“
    „ Und Pierre? Was hat er dazu gesagt, einen Bruder zu bekommen? Ich kann mir vorstellen, dass er von der Entscheidung seines Vaters nicht sonderlich begeistert war.“
    „Was hast du erwartet? Natürlich nicht. Damals war er pubertäre sechzehn Jahre. Stell dir das vor: Plötzlich drehte sich in der Villa Chez le Matelot nicht mehr alles bloß um den verwöhnten, süßen Pierre. Grund genug für ihn, mich bis heute dafür zu hassen. Er hat es mich vom ersten Tag an spüren lassen, was er von mir hielt. Le bâtard hat er mich genannt, nie bei meinem Namen, selbst vor Henri, der ihn kaum von diesen und anderen Quälereien abhalten konnte. Pierre gab sich wirklich die größte Mühe. Die Kinder auf der Straße, in der Schule, einfach überall zeigte man mit Fingern auf mich und schrie mir hinterher: ‚ Bâtard ’. Nicht einmal die Tatsache, dass mich Germeaux kurz nach der Geburt adoptierte, änderte etwas an meinem Namen.“
    „Daher also die nette Begrüßung durch dich, als ich zum Krankenbesuch kam“, stellte Beate fest und es lag nicht der kleinste Hauch eines Vorwurfs in ihrer Stimme. „‚ Le bâtard de Monsieur’ waren die ersten Worte, die du mir entgegengeschleudert hast. Du hast ganz einfach den Namen an mich weitergereicht, so als wolltest du dich für all die Jahre der Demütigung durch deinen großen Bruder revanchieren. Na ja, nicht gerade nett, aber durchaus verständlich.“
    „Es war dumm von mir, ich weiß, wie vieles andere übrigens auch. To tal blöd.“
    Er legte sein Besteck auf den Teller und griff über den Tisch nach Beates Hand. Er spürte das leichte Beben und lächelte versöhnlich. „Du musst einen furchtbar schlechten Eindruck von mir bekommen haben.“
    Beate fühlte irritiert, wie sich ihr Puls beschleunigte und entzog Alain ihre Finger. Mit einem heiseren Laut, der einer Krähe zur Ehre gereicht hätte, krächzte sie: „Hast du im vergangenen halben Jahr nur ein Mal versucht, mir einen besseren Eindruck von dir zu vermitteln?“
    „Warum sollte ich das tun?“
    „Ganz einfach, weil du nicht bist, was du vorgibst zu sein.“
    „ Und das wäre? Also wirklich, auf Ideen kommst du manchmal. Stellst du dir etwa vor, ich sei das wilde Biest aus dem Märchen? Ein verwunschener Königssohn vielleicht, den du mit deiner … den du erlösen kannst?“ Er winkte verächtlich ab. „Du bist eine Träumerin.“
    „Und du? Hast du etwa keine Träume? Keinen Sinn für Romantik? Ausgerechnet in Paris, der Stadt der Liebe? Poesie bereichert die Seele, musst du wissen.“
    „Ich bin Realist.“
    Müde und ausgelaugt starrte er vor sich hin. Nein, für Träume war kein Platz in seinem Leben. Er hatte schon zeitig zu verhindern gewusst, dass sich Träume in seine Gedanken einschleichen, ihm den Kopf verwirren und den Blick für die wirklich wichtigen Dinge im Leben trüben konnten. Denn er war ein Bastard, auf den man mit Fingern zeigte. Ein Außenseiter, der nicht einmal den Namen seines Vaters kannte und dessen Mutter Schande über ihre Familie gebracht hatte. Mit diesem Makel behaftet würde er nie gesellschaftsfähig werden. Was war ihm also anderes geblieben, als sich mit herausragenden Leistungen in der Schule und später auf der Universität einen Namen zu machen? Träume hätten ihm dabei bloß im Wege gestanden und ihn dazu verleitet, sein Ziel aus den Augen zu verlieren – aus eigener

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