Toedliche Luegen
und schaute verunsichert auf – der erste Hauch eines Verdachts, dass das Ganze möglicherweise nicht so laufen könnte, wie er geplant hatte.
„Schon gut “, winkte er ab und begann damit, dass benutzte Geschirr auf dem Tisch einzusammeln und auf ein Tablett zu stellen. „Vergiss, was ich gesagt habe.“
Vollkommen perplex erkannte sie, dass sie seine Gefühle verletzt hatte. Sie hatte angenommen, er würde leidglich Spaß machen, dabei hätte sie es wirklich besser wissen müssen. Dennoch überraschte es sie, dass ihm etwas an ihrer Meinung lag.
„ Warte, Alain, es kommt noch mehr. Hab mich bloß warmgemacht.“
„Lass sein. Es ist egal.“
Aber es war ihm nicht egal und das freute sie auf eine eindeutig kindische Art und Weise. Sie beobachtete, wie er mit außergewöhnlich steifen Bewegungen in die Küche ging, eindeutig Ausdruck seiner Anspannung.
„Warum bist du aus Deutschland weg?“ , erkundigte er sich, als er nach einer Weile zurück kam und wieder am Tisch Platz genommen hatte.
„ Touché , Alain! Eins zu zehn für mich. Ich bin abgehauen, weil ich mein Studium in den Sand gesetzt habe und nicht wusste, wie ich es meinen Herrschaften beibringen sollte. Und da kam mir Pierres Angebot natürlich wie gerufen, zumal ich sowieso französische Philologie studieren wollte.“
Sie registrierte sein e starre Miene und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. Interessierte er sich ernsthaft für ihre Geschichte? Oder hoffte er auf diese Weise, einen weiteren dunklen Fleck auf ihrer ohnehin pechschwarzen Weste zu entdecken? Suchte er einen Grund, um sich erneut über sie lustig machen zu können?
Sie blickte ihm in die Augen und begann, ohne noch einen weiteren Gedanken an ihre Zweifel zu verschwenden, vom Unfalltod ihrer Freundin Cat zu erzählen, von Karo und deren frühgeborenen Zwillingen, von Suse und „Den guten Tieren“ und schließlich von ihrem unrühmlichen Abgang von der Seefahrtsschule.
„Urplötzlich, von einem Tag auf den anderen war alles vorbei: Karo zu beschäftigt, um sich auch bloß für ein lumpiges ‚Hallo’ zu melden. Ich habe tonnenweise Briefe an sie geschrieben, stundenlang versucht, sie anzurufen. Empfänger unbekannt. Kein Anschluss unter dieser Nummer. Nicht einmal ihre Eltern wissen, wie es ihr geht oder wo sie seit dem Abschluss des Studiums mit ihren Kindern lebt. Sie ist wie vom Erdboden verschwunden. Unsere kleine Suse hatte ebenfalls erfolgreich ihr Studium beendet und war monatelang auf See unterwegs genau wie all unsere Freunde. Aus und vorbei! Mit einem Schlag stand ich mutterseelenallein da. Wie ein Verdurstender in der Wüste wusste ich nicht, was ich tun und wohin ich gehen sollte. Da erschien mir Pierre in der Tat wie ein rettender Engel, den mir der Himmel geschickt haben musste. Was lag näher, als die verbliebenen, wackeligen und baufälligen Brücken ganz abzureißen, bevor sich jemand darauf das Genick brechen konnte? Deswegen und wirklich bloß deswegen habe ich Germeaux’ Einladung in sein Haus angenommen. Und nicht etwa, um meinen Onkel kennenzulernen und mich von ihm in selbstzerstörerischer Art und Weise tyrannisieren zu lassen.“
Beates halbherziger Versuch eines Scherzes prallte wirkungslos an Alain ab. Er hatte ihr nachdenklich zugehört. Erst jetzt, viel zu spät, wie er sich eingestehen musste, verstand er ihre Tränen an dem Tag, als sie ihn das erste Mal in der Klinik aufgesucht hatte. Schamröte stieg ihm ins Gesicht. Wie viel, was zwischen ihnen hätte sein können, hatte er von vornherein unbedacht zerstört? Er musste sich nicht wundern, wenn sie ihn verabscheute.
„Und dann kommst du hierher und statt Ruhe findest du einen Despoten vor, der es sich zum Ziel gesetzt hat , dich zu drangsalieren. Es tut mir furchtbar leid, Bea.“
Das ehrliche Mitgefühl in seiner Stimme wärmte ihr Herz. Er konnte so nett sein, wenn er bloß wollte. Und es klang so ehrlich, was er sagte, dass sie es ihm nur zu gerne glaubte.
„Und deine Familie? Was hat sie zu deinem Umzug nach Paris gesagt? Dass du jetzt bei deinem Vater wohnst?“
Ein verächtlicher, fast zynischer Zug legte sich um Beates Mund. Kopfschüttelnd brummelte sie: „ Meine Familie? Mein Gott, Familie! Was ist das denn? Weißt du, zu diesem Luftschloss in Wolkenkuckucksheim gibt es schon längst keine Brücke mehr. Manchmal, so im Nachhinein, denke ich mir, sie könnten vermutet haben, dass ich nicht in ihre Familie gehöre. Zumindest haben sie mich ihre Ablehnung deutlich spüren
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