Toedliche Luegen
das wollen? Vielleicht war das ja sein Problem. Er war nicht mehr ganz richtig in der Birne. Denn wenn er es wäre, hätte er Beate niemals dieses saublöde Versprechen gegeben.
Ein heftiger Schauder überlief ihn und er musste sich zwingen, an etwas anderes zu denken. Das war die reinste Folter, der er sich da aussetzte. Warum er sich das antat, wusste er beim besten Willen nicht. Er war nie zuvor so dringend an einer einzigen Frau interessiert gewesen, was förmlich an Besessenheit grenzte. Dieses Wort gefiel ihm nicht und das, was es bedeutete, noch viel weniger. Es war bescheuert, nur noch eine Frau im Kopf zu haben, wo es doch Milliarden davon auf der Welt gab. Keiner wusste das mehr zu schätzen als er. Eine einzige im Kopf zu haben, würde bedeuten, dass alle anderen ihren Reiz für ihn verloren hätten. Und das wäre nicht auszudenken.
Dennoch hatte er es als eigenartig befriedigend empfunden, einfach bloß dazustehen und sie beim Schlafen zu beobachten. Ihren halb nackten Körper anzuschauen. Selbst wenn es ihn beinahe in den Wahnsinn getrieben hatte.
Sie hatte im Schlaf gelächelt und einen derart unschuldigen Eindruck gemacht, dass ihm die Brust eng wurde. Er hatte ihren Atemzügen gelauscht und sich nicht mehr von der Stelle rühren können. Es war falsch, verboten, tabu. Aber plötzlich …
Er hatte gespürt, wie zwischen ihnen etwas wuchs, das ihn in Beates Nähe festhielt. Nicht allein das Verlangen, sich zu ihr zu legen. Nicht nur in diesem Moment. Da war viel mehr. Etwas Großes, Einzigartiges. Er hatte sich wie verzaubert gefühlt, wie der Märchenprinz, den magische Kräfte zu Dornröschen zogen. Er wollte ihr das wirre Haar aus dem vom Schlaf geröteten Gesicht streichen und ihre seidige Haut berühren. Er wollte ihren Schlaf behüten und sie küssen.
Er wollte sie! Für immer.
„Ich liebe dich“, hatte er geflüstert. Was seine Knie so unmännlich weich werden ließ, dass er sich setzen musste.
In ausgerechnet dieser Sekunde wachte sie auf. Er war überzeugt, sie würde erschrecken, um Hilfe schreien oder sich mit ausgefahrenen Klauen auf ihn stürzen, weil er sich wie ein gemeiner Spanner vor ihrem Bett herumdrückte. Er hatte gezittert vor Angst. Er war in Panik und wusste nicht, woher sie kam.
Wieder vermied er es, sie anzuschauen, denn er befürchtete, sie würde bis in seine Seele eintauchen und Leidenschaft und Zärtlichkeit, Verlangen und Faszination darin erkennen. Liebe. Es war Liebe, die in ihn gefahren war und sein Herz überquellen ließ. Er wusste es und konnte nichts dagegen tun. Wollte es nicht.
Niemals durfte er ihr das gestehen. Er wollte sich Beate nicht ausliefern oder lächerlich machen, wenn sie seine Gefühle nicht in ebensolcher Weise erwiderte. Sie konnte ihn verletzen.
„Germeaux hat dir davon erzählt, was passiert ist . Damals. Mit Julie. Ich wollte nicht, dass du annimmst, ich würde …“
„Alain, du hast mir dein Wort gegeben. Ich weiß, du würdest mir niemals wehtun. Ich vertraue dir.“
Sie registrierte, wie er mit sich rang. Trotz der negativen Erfahrungen mit ihrer Familie hatte sie den Glauben an das Gute im Menschen nicht verloren. Alain jedoch schien niemandem außer sich selbst zu trauen. Zu ihrer Überraschung merkte sie, wie Mitgefühl und Zuneigung in ihr aufkeimten. Wie schrecklich musste es sein, wenn man ausschließlich das Schlechteste von seinen Mitmenschen annahm?
„Du vertraust mir? Auch noch, nachdem ich heute Morgen … nachdem mir das …“
Ihr Lächeln verschwand. Sie sah aus, als wollte sie nicht daran erin nert werden. Bereute sie etwa, seinen Kuss erwidert und ihm damit Hoffnung auf mehr gemacht zu haben?
Sie zögerte mit einer Antwort und sagte endlich leichthin: „Alain, du hast mich geküsst , na und? Meine Güte, ein einziger Kuss, was ist das schon? Sind wir beide nicht abgeklärt und alt genug, um zu wissen, wie das hin und wieder abläuft zwischen Mann und Frau? Hattest du Angst, ich würde das ernst nehmen? Oh, sei unbesorgt, das tue ich ganz bestimmt nicht. Und nun lass dir deswegen bloß keine grauen Haare wachsen. War doch nur ein Kuss.“
Und die dreisteste Lüge, die sie jemals von sich gegeben hatte.
Verwirrt starrte er sie an. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Das aufgeregte Flattern in seinem Magen nach seinem Geständnis wurde zu einer schmerzhaften Verkrampfung. Sie war bereits dabei, ihn zu verletzen! Wie konnte er auch auf die Idee kommen, in romantischen Vorstellungen zu schwelgen
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