Tödliche Nähe
nicht.
Das war ihre Chance, vielleicht würde sie nur diese eine haben, einen Moment, in dem Carter sich auf etwas anderes konzentrierte als auf sie.
Sie ballte die Hände zu Fäusten und rammte sie mit Schwung nach oben, genau zwischen seine Beine, wobei sie, so schnell und kraftvoll sie konnte, aufsprang, um dem Ganzen mehr Wucht zu verleihen.
Dann riss sie sich von ihm los und taumelte die letzten Stufen hinunter, während Ezra sich auf Carter stürzte. Sie drohte an ihren Schluchzern förmlich zu ersticken, Tränen der Angst, der Erleichterung, ließen alles um sie herum verschwimmen. Doch sie musste auch nichts mehr sehen.
Alles, was sie wollte, was sie brauchte, stand im Türrahmen. Law streckte die Hand nach ihr aus und bekam sie zu fassen, als sie nah genug bei ihm war.
»Law!«
»Scht … Ist ja alles gut.«
Sie löste sich kurz von ihm, um ihn wütend anzufunkeln. »Du Idiot! Du bist angeschossen worden und erzählst mir, alles wäre gut?«
Doch dann lehnte sie wieder den Kopf an seine Brust und wurde von neuerlichen Schluchzern geschüttelt.
Vielleicht war es endlich vorbei …
»Nimm sie runter «, knurrte Ezra.
Nia hatte Carter zwar überrascht, aber der Mann besaß anscheinend Eier aus Stahl, denn noch bevor Ezra bei ihm war, hatte er seine Waffe bereits wieder auf ihn gerichtet.
»Ich werde nicht ins Gefängnis gehen«, gab er zu Protokoll, und seine Stimme klang höflich, geradezu freundlich. Sein Blick war verklärt und leer. Und in der schwachen Beleuchtung glänzte sein kahler Schädel wie ein Babypopo. »Ich hatte mir immer vorgenommen, alles zu beenden, sollte es jemals so weit kommen, und ich werde auch jetzt nicht von diesem Plan abweichen.«
Er zielte noch immer auf Ezra, hielt die Waffe eisern umklammert, als könnte er die ganze Nacht über so stehen bleiben.
Doch dazu war niemand in der Lage. Solche Pistolen wogen einiges – und niemand konnte sie unendlich lange hochhalten.
»Komm schon, Carter. So willst du es doch nicht enden lassen. Möchtest du Roz nicht wiedersehen? Deine Frau? Du liebst sie doch, nicht wahr?«
»Natürlich tue ich das. Und dein Versuch ist niedlich, aber nein. So dringend ist mein Wunsch, sie wiederzusehen, nicht, als dass ich mich dafür von dir verhaften lasse, Ezra.« Er deutete mit der Waffe auf die Stufen. »Warum gehst du nicht einfach wieder runter?«
»Du weißt, dass ich das nicht kann.«
»So, so.« Carter legte die Stirn in Falten, als würde er scharf nachdenken. Dann lächelte er plötzlich.
Ezra lief ein Schauder über den Rücken.
Carter krümmte den Finger am Abzug. »Weißt du, dich zu töten, war eigentlich nie Teil meines Plans, Sheriff. Mit dir hatte ich überhaupt kein Problem. Mit Dwight zwar auch nicht, aber der kam mir letzten Endes in die Quere. Genau wie dieser bescheuerte Carson. Deswegen musste ich beide ausschalten. Und nun bist du mir im Weg. Also …«
»Tu’s nicht, Carter«, warnte Ezra ihn. Sein Leben begann vor seinem inneren Auge vorbeizuziehen. Verdammt noch mal – er hatte sich vor über einem Jahr selbst ein Versprechen gegeben. Er wollte nie wieder jemanden töten. Großer Gott …
»Tut mir leid. Aber du bist mir einfach im Weg«, wiederholte Carter, und sein Tonfall klang so höflich, er selbst so vernünftig.
Der Sheriff schoss.
Und während Carter zu Boden stürzte, ließ sich Ezra gegen das Geländer sacken.
Ja, er hatte sich selbst ein Versprechen gegeben. Damals, als er gezwungen gewesen war, seine eigene Partnerin zu töten. Aber deswegen hatte es ihn über Umwege auch in diese Kleinstadt verschlagen, war er in genau diesem Haus gelandet.
»Ezra!«
Beim Klang von Lenas Stimme hob er den Kopf. Selbst wenn er nur tatenlos dagestanden hätte, erstarrt vor Schuldgefühlen, wäre durch ihn ein Leben ausgelöscht worden. Bloß hätte es sich um sein eigenes statt dem eines Mörders gehandelt. Seufzend schaute er zu Carter Jennings hinüber, zwischen dessen leblosen Augen ein sauberes Loch klaffte.
»Jetzt bin ich dir wohl nicht mehr im Weg«, murmelte er.
Dann lief er die Treppe hinunter. Es galt eine Riesenschweinerei zu beseitigen, aber zuallererst … musste er seine Frau in die Arme schließen.
24
»Remy!«
Bis zur Morgendämmerung war es noch ein wenig hin. Im hellen, kalten Krankenhauslicht holte ihn die Realität ein, so sehr er sich auch bemühte, die Wahrheit zu verdrängen.
Und offensichtlich konnte er vor Hope ebenso wenig davonlaufen.
Sie hatte ihn in der kleinen Kapelle der
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