Tödliche Nähe
Normalität einkehren. Sobald sie es zuließ, um Joely zu trauern, war sie vielleicht sogar dazu in der Lage, ein geregeltes Leben führen. Viel zu lange hatte sie es sich selbst untersagt, darüber nachzudenken. Darüber, wieder zu ihrem normalen Alltag zurückzukehren.
Ja.
Sie dachte daran, Ash, Kentucky zu verlassen und die schlimmen Geschehnisse des vergangenen Tages, all die schrecklichen Erinnerungen und das Wissen um das, was Joely hier widerfahren war, einfach hinter sich zu lassen. Das konnte sie nun.
Und obwohl es schmerzte, überlegte sie auch, Law zu verlassen.
Ihr Leben spielte sich schließlich in Virginia ab, nicht wahr?
Schweigend blieb sie bei ihm und wachte die ganze Nacht über an seinem Bett.
Und als endlich der Morgen graute, stand die Entscheidung fest.
Sie hatte getan, wofür sie hergekommen war.
Es war an der Zeit, wieder zu gehen.
Law erwachte mit bestialischen Schmerzen und von den kalten Händen einer Schwester, die ihm eine Blutdruckmanschette um den Arm schnallte.
»Was zum …«, murmelte er müde.
»Guten Morgen, Mr Reilly«, sagte sie mit kühlem, sachlichen Tonfall. »Ich messe bloß Ihren Blutdruck und Ihre Temperatur, dann sind Sie mich wieder los.«
»Wow, hier wird man ja freundlich behandelt«, meldete sich Nia von der anderen Seite des Bettes aus zu Wort.
Sofort war die Schwester vergessen und Law wandte Nia den Kopf zu. »Du bist geblieben!«
Sie schenkte ihm ein undefinierbares Lächeln. »Du hast mich doch darum gebeten.« Dann blickte sie die Schwester an. »Sie schneien hier um sechs Uhr morgens herein, ohne anzuklopfen. Das verstößt doch garantiert gegen die Krankenhausvorschriften. Dann stellen sie sich nicht mal vor, reißen einem verletzten Patienten die Bettdecke weg und fangen an, an ihm herumzufingern, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass Sie ihn gerade erst aufgeweckt haben. Und darüber hinaus waren Sie nicht mal so nett, den Kabinenvorhang zuzuziehen und die Tür hinter sich zu schließen.«
»Nia …«
Die Krankenschwester schnaufte. »Natürlich habe ich geklopft. Sie waren nur beide noch am schlafen.«
»Netter Versuch.« Nia setzte ein breites, unnatürliches Lächeln auf. »Ich war wach, seit Sie vor drei Stunden nach dem Tropf gesehen haben. Da waren Sie vielleicht auch so umsichtig, anzuklopfen, dieses Mal aber nicht.« Sie spähte auf das Namensschildchen der Schwester und grinste. »Warum nur überrascht es mich nicht, dass Sie mit Nachnamen Jennings heißen?«
Die ältere Frau presste die Zähne zusammen und riss Law die Manschette herunter. Doch Nias kritischer Blick schien Wirkung zu zeigen, sodass sie ihre Arbeit mit übertriebener Vorsicht beendete. »Selbstverständlich klopfe ich immer an«, sagte sie noch einmal steif. »Vielleicht waren Sie eingedöst, ohne es zu merken.«
»Aaah … Vielleicht.« Nia warf Law einen kurzen Blick zu, dann schaute sie wieder die Schwester an. »Und vielleicht sollten Sie schnell eine andere Schwester finden, die sich um Mr Reilly kümmert. Natürlich sind Sie durch den Tod Ihres Verwandten vollkommen verstört, was auch erklärt, warum Sie Ihren Patienten nicht die Fürsorge zukommen lassen, zu der Sie eigentlich verpflichtet sind.«
Noch bevor die Schwester etwas erwidern konnte, stand Nia vom Stuhl auf und wippte auf den Fersen. »Das wäre wohl wirklich das Beste. Was entstünde denn nur für ein Eindruck, wenn Sie bei der Aufsichtsbehörde angezeigt werden würden, weil Sie Ihren Aufgaben nicht korrekt nachkommen? Und bevor Sie antworten, lassen Sie mich Ihnen versichern … Ich weiß, wie man so eine Beschwerde formuliert. Und ich werde nicht zögern, es auch zu tun.«
Wortlos ging die Frau hinaus.
Law zog eine Augenbraue hoch. »Unhöflichkeit ist nicht dasselbe wie unethisches Verhalten«, murmelte er.
»Doch, wenn sie sich nur so benimmt, weil sie wegen ihres Cousins sauer ist.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich habe nicht geschlafen – und sie sollte wirklich leiser lästern. Man konnte sie vom Schwesternzimmer bis hierher quatschen hören. Sie hat Gerüchte über Vertuschung und Verschwörungen in die Welt gesetzt. Und wenn Schwester Ratchett Privates nicht von Beruflichem trennen kann, dann sollte sie schleunigst jemanden finden, der sich an ihrer Stelle um dich kümmert.«
Er schenkte ihr die abgeschwächte Version eines anzüglichen Grinsens. »Weißt du was, irgendwie macht es mich an, wenn du dich so für mich einsetzt.«
»Ach ja? Gibt es eigentlich etwas, das dich
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