Toedliche Offenbarung
unter Dach und Fach, hatte der Käufer nichts Besseres zu tun, als es den »Aufrechten Deutschen« zu überlassen. Jetzt soll der Kauf wegen Vortäuschung falscher Tatsachen rückgängig gemacht werden. Wörstein weigert sich und lässt es auf einen Rechtsstreit ankommen. Einige Leute wollen nicht tatenlos zusehen und organisieren ab morgen Mahnwachen – so lange, bis diese Truppe von Wörstein wieder geht. Dazu gehören vor allem meine Tochter und ein paar andere junge Leute vom Gymnasium.«
Schon wieder der Vertrag mit dem Schulungsheim. Montagmorgen muss sich Rischmüller als Erstes damit beschäftigen. Beckmann braucht dringend genaueres Hintergrundwissen. Irgendetwas hat er läuten hören, dass eine Stiftung hinter dem Kaufvertrag steckt. Hieß die nicht Golder oder Goldan?
»Vielleicht ist der Junge mit dem Fahrrad auf dem Heimweg. Wäre doch möglich.«
»Sonja ist sich sicher, dass er sie in dem Fall angerufen hätte. Aber lassen wir das mal dahin gestellt. Warum schießen die da am helllichten Tag? Diese Schüsse machen mir wirklich Sorgen. Wörstein und seine Kraftpakete streiten ab, etwas gehört zu haben. Nachsehen kann man auf dem Gelände auch nicht. Wörstein lässt mich ohne Hausdurchsuchungsbefehl nicht auf das Grundstück. Ich hab’s schon versucht.«
Mit Wörstein ist nicht zu spaßen, auch wenn er nie persönlich Hand anlegen würde. Dafür hat er andere.
Beckmann fährt sich mit der linken Hand an sein rechtes Ohr und knetet gedankenverloren sein Ohrläppchen. Hausdurchsuchungsbefehl. Eigentlich keine große Sache. Geht es jedoch um den eloquenten Anwalt der Rechten, sind alle vorsichtig. Staatsanwältin Mackenrodt wird nicht den kleinen Finger rühren, um sich mit diesem gewieften Rechtsverdreher anzulegen. Höchstens bei Gefahr im Verzug. Könnte man diese Schüsse nicht so werten?
»Ich versuche mein Bestes.«
Beckmann tippt die Nummer der Staatsanwältin ein.
Doktor Monika Mackenrodt, die zu ihrem eigenen Ärger bei herrlichstem sommerlichem Wetter Bereitschaftsdienst hat und sich schlecht gelaunt durch Aktenberge arbeitet, betrachtet ihre perfekt gefeilten Fingernägel.
»Was gibt es Beckmann?«
»Ein Junge wird seit heute Morgen vermisst – am Landschulheim bei Ehlershausen.«
»Verdammt.« Die Staatsanwältin vergisst ihre Fingernägel, und atmet tief ein. »Bloß nicht schon wieder so ein Sexualmord im Landschulheim. Letztes Jahr der Junge in Rheine …«
Beckmann unterbricht sie.
»Hier liegt der Fall anders. Felix Rinsing ist achtzehn Jahre alt, und das Landschulheim ist als solches nicht mehr in Betrieb.«
»Dann ist ja gut.« Die Erleichterung in ihrer Stimme ist nicht zu überhören.
»Es ist mittlerweile das neue Schulungszentrum der »Aufrechten Deutschen«.«
»Ist das nicht die Truppe von Wörstein?« Nervös tippen ihre Fingerspitzen auf die Schreibtischunterlage neben dem Telefon.
»Genau.«
»Scheiße«, murmelt die Staatsanwältin, die selten flucht. Sie greift nach einer Zigarette und dreht sie so fest zwischen ihren Fingern, bis die dunklen Krümel durch das weiße Papier rieseln.
»Mit dem wollte ich nie wieder zu tun haben. Und wenn, dann nur um ihn festzunageln«, setzt sie mit ihrer tiefen Stimme hinzu und kneift die Augen zusammen. »Ein bisschen mehr müssen Sie mir schon an die Hand geben, wenn ich bei dem einen Hausdurchsuchungsbefehl unterschreiben soll.«
»Ich sorge für eine Vermisstenanzeige.«
»Das reicht nicht. Wir brauchen mehr. Bloß weil ein achtzehnjähriger Junge nicht pünktlich bei seiner Freundin ist, dürfen wir nicht über Wörsteins Grundstück spazieren.«
»Es ist Gefahr im Verzuge. Felix’ Fahrrad ist neben der Grundstückszufahrt gesehen worden. Jetzt ist es verschwunden. Außerdem hat diese Zeugin Schüsse gehört.«
»Das hört sich gut an. Kommen Sie Montag früh vorbei. Dann können wir über den Durchsuchungsbefehl sprechen.«
»Und wenn dem Jungen in der Zwischenzeit etwas passiert?«
Die Staatsanwältin starrt aus dem Fenster. Es ist immer noch keine Wolke am Himmel zu sehen, obwohl für den Abend Gewitter angekündigt sind. Diese Schwüle gefällt ihr nicht. Die Anfrage von Beckmann genauso wenig. Soll sie sich wirklich mit Wörstein anlegen? Der Typ ist mit allen Wassern gewaschen und hat sie schon einmal ganz schlecht vor Gericht dastehen lassen. Drei Jahre zog sich der Prozess hin, dann schaffte er es, den Richter und sie wegen Befangenheit abzulehnen – und alles konnte wieder von vorne beginnen, bis
Weitere Kostenlose Bücher