Toedliche Offenbarung
gehört. Ganz sicher.« Sie wirft ihrem Vater einen eindringlichen Blick zu. »Wir müssen Felix auf dem Grundstück suchen. Ich habe so ein komisches Gefühl, dass ihm etwas passiert ist.«
»So einfach geht das nicht.«
»Bitte, Papa.«
Borgfeld tätschelt ihre schmale Hand, so wie früher, wenn sie aufs Knie gefallen war und geweint hatte.
»Freiwillig lassen die uns da nicht rauf. Das hat mir dieser Wörstein vorhin grinsend ins Gesicht gesagt.«
Er erinnert sich nur ungern an die Begegnung mit dem aalglatten Juristen. Schwitzend hatte er vor einer Stunde in der glühenden Nachmittagssonne gestanden. Die Quecksilbersäule des Thermometers zeigte 37 Grad. Der bisher heißeste Tag dieses Sommers.
»Wo ist Ihr Hausdurchsuchungsbefehl?«, hatte der arrogante Schnösel im eleganten grauen Zweireiher gefragt. »Ach, Sie haben keinen? Dann tut es mir leid. Ich sehe keine Veranlassung, Sie auf unser Grundstück zu lassen. Ihre Behörde ist ja ansonsten auch nicht gerade zuvorkommend.«
Wie zur Bestätigung seiner Position hatten sich zwei alte Reichsflaggen im auffrischenden warmen Wind am Eingang zum ehemaligen Landschulheim aufgebläht. Ein junger Mann mit kahlgeschorenem Schädel und dunklem langärmeligen Sweatshirt hatte breitbeinig neben Wörstein gestanden und gegrinst. Ein Blonder hatte mit einem Schäferhund eine Runde gedreht und lauernde Blicke in seine Richtung geworfen. Auf dem rechten Oberarm prangte eine faustgroße Totenkopftätowierung, auf dem Unterarm eine, die aussah wie ein Angelhaken.
Was war Borgfeld übrig geblieben? Er hatte den Rückzug angetreten.
Borgfeld sieht auf die Uhr. Kurz vor fünf. Verdammt, was soll er bloß machen? Er wischt sich den Schweiß von der Stirn. Alleine kommt er in der Sache nicht weiter. Schon gar nicht heute. Es ist Wochenende und er hängt mitten in den Ermittlungen zu einem Mordfall. Es gibt nur einen, den er um Hilfe bitten kann. Max Beckmann.
48
»Wer hat hinter dem Haus geschossen?« Wörstein ist aufgebracht, als er die zehn derzeitigen Bewohner des Schulungsheims antreten lässt.
Bis auf Matusch und Kevin senken alle die Köpfe. Endlich tritt ein kleiner, schmaler Junge vor, der für die Küche eingeteilt ist.
»Melde gehorsamst: Habe versucht, einen Hasen zu schießen. Wollte mit einem Braten heute Abend überraschen.« Der Junge zuckt mit der Schulter. »Hat leider nicht geklappt. Das Tier war schneller.«
Wörsteins Gesicht verzieht sich vor Wut.
»Wir sind nicht im Zeltlager und wir spielen auch nicht Räuber und Gendarm. Das ist das eine«, schnaubt er los. »Außerdem liebe ich keine Überraschungen in dieser Form. Disziplin ist der Kern unserer Vereinigung. Eigenmächtigkeiten führen zu Problemen. Verstanden?« Mit was für Idioten hat er hier zu tun? Da liegt noch eine Menge Arbeit vor ihm.
»Verstanden.« Der Hänfling ist in sich zusammengesunken und den Tränen nahe.
Der Anwalt bemerkt diesen Anflug von Selbstmitleid und donnert los: »Wer sich nicht in aller Härte und Bedingungslosigkeit einbringt, hat hier nichts zu suchen – und: Meine Herrschaften, damit das ein für allemal klar ist, das heißt vor allem eins: Gehorsam, Gehorsam und noch einmal Gehorsam. Nur so können wir die Gesellschaft verändern. Verstanden?«
Alle nicken.
»Abtreten. Matusch, dich möchte ich noch einmal sprechen. Alleine.«
Als die anderen draußen sind, macht Wörstein Matusch ein Zeichen.
»Schließ die Tür.«
»Soll ich etwas im Speisezimmer anrichten lassen?«
Wörstein ist über die Frage irritiert. »Warum?«
»Für die letzten Neuzugänge, die sind doch in einer Stunde da.«
Heute gerät alles aus den Fugen. Wie hat er das vergessen können? Er muss sich sammeln und konzentrieren, sonst verliert er den Überblick.
»Die Neuzugänge werden von Kamerad Ziehler gebracht. Er wird sich an diesem Wochenende um sie kümmern. Am besten, sie gehen zu einer Ertüchtigungsübung in den Wald. Abends machen wir ein großes Lagerfeuer.« Wörstein holt tief Luft. Dieser Polizist, der aus heiterem Himmel hereingeschneit gekommen ist, hat ihn mehr durcheinander gebracht, als ihm lieb ist.
»Was ist mit diesem ungebetenen Besucher, den du erwischt hast?«
»Nichts.«
»Wieso war dann dieser Polizist hier und hat nach einem verschwundenen Jungen gefragt?«
»Weiß ich nicht, ich hab dem nur gezeigt, wie ein echter Deutscher seinen Grundbesitz verteidigt, wenn unangemeldete Eindringlinge auftauchen.«
»Und wie macht man das?«
»Habe ihm
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