Toedliche Offenbarung
es im Getriebe der überlasteten Justiz endgültig unterging.
Die Staatsanwältin steckt sich die filterlose Zigarette in den Mund und dreht sie zwischen Ober- und Unterlippe hin und her.
»Haben Sie von dem anderen Toten gehört, den man im Golfclub Isernhagen gefunden hat? Er heißt Henry Broderich.«
»Natürlich.« Sie pult sich einen Tabakkrümel von der Oberlippe.
»Broderich hat die Texte für eine von Wörsteins Propagandainternetseiten erstellt. Eine prima Rattenfängerwerbung für junge Leute. Habe ich heute Morgen gerade im Netz entdeckt.«
»Also gut. Kommen Sie vorbei.«
50
Maria Borgfeld stellt die gefüllten Einkaufstüten neben der Eingangstür ab und reibt sich die verspannten Schultern. Acht Stunden Kasse gehen nicht spurlos an einer Frau ihres Alters vorbei. Vor allem nicht an einer unsportlichen, die sich mitten im Klimakterium befindet. Manchem schickt der liebe Gott eine Heimsuchung, ihr zurzeit gleich drei, von den kleineren gar nicht zu reden. Pubertierende Gören, Wechseljahre, Mann auf Diät.
Dieter ist von allen dreien die schlimmste Heimsuchung. Seit sie ihn zu Weight Watchers schickt, meckert er dauernd rum. Dabei meint sie es doch nur gut.
»Bin wieder da«, schreit sie ins Haus, kaum dass sie die Tür aufgeschlossen hat.
Eigentlich hat sie das Übergewicht ihres Mannes nie gestört. Im Gegenteil. Irgendwie war sie sich dadurch seiner sicher. Damals, als sie sich beim Schützenfest in Burgdorf kennen lernten, ist er ein fescher, ein besonders fescher Bursche gewesen. Mit blonden Haaren und breiten Schultern. Sie seufzt. In seiner grünen Uniform ist er ein Bild von einem Mann gewesen. Alle Mädchen verdrehten sich die Köpfe nach ihm. Dieter hätte jede haben können.
Maria lächelt, als sie daran denkt, wie er seinen Arm Monate später beim Osterfeuer um sie gelegt hat. Damals hat er sie gefragt, ob sie seine Frau werden will. Lang, lang ist es her. Wie bei einem Baum haben sich seitdem die Jahresringe um seinen Bauch gelegt.
Das ist ungesund, hat die Ärztin im Gesundheitsmagazin im Fernsehen gesagt. Das stört den Stoffwechsel im Körper. Also hat sie ihrem Dieter nicht nur die Diät, sondern auch Sport verordnet. Die Nordic Walking Stöcke hat sie ihrer Kollegin bei Edeka günstig abkaufen können. Deren Mann hat sich geweigert, sie zu benutzen. Dieter ist da nicht so. Der geht brav jeden Freitag mit seinen Stöcken zum Lauftreff. Gestern ist die Gruppe bis nach Beinhorn gewalkt. Alles bestens. Aber dass er danach mit Wildfremden essen geht, hat ihr die Laune verdorben. Gehen die Herrschaften nach der Runde in die Pizzeria. Einfach so.
Na, dem hat sie heute Morgen Bescheid gegeben. Sie selbst quält sich aus Solidarität und zählt den ganzen Tag Punkte, obwohl sie nur um die Hüfte und den Bauch herum in den letzten Jahren etwas angesetzt hat – und der Herr Kommissar isst Pizza. Aber nicht mit ihr. Zur Strafe gibt es heute Rohkost.
»Ich bin’s!«
Wieder keine Antwort.
»Dieter?« Ihr Ruf wird lauter und bekommt einen vorwurfsvollen Beiklang. »Dieter!«
Stille. Wo steckt der Kerl? Sie hatte gehofft, dass er den Kaffeetisch gedeckt hätte. Sein Dienst ist doch schon längst vorbei.
»Sonja?« Ihr Schrei wird noch eine Nuance schriller. Trotzdem kommt keine Antwort.
»Ali?«
Endlich hört sie ein Geräusch und kurz darauf wird eine Tür geöffnet. »Was gibt’s?«
»Bin wieder da. Was machst du, hast du Hunger?«, setzt sie versöhnlich hinzu.
»Nein. Ich sitz an den Schularbeiten.«
»Dann lern weiter.«
Ali dreht sich um und sitzt im nächsten Moment am Computer. Drei gifts müssen noch bei farmville untergebracht und die Artischocken geerntet werden.
51
Während Beckmann sich auf den Weg zur Staatsanwältin macht, nippt Martha an ihrem Weinglas. Sie hat sich den Abend anders vorgestellt. Aber letztlich passt es. Kaum hat sie sich ein bisschen an Beckmann gewöhnt, ist er schon wieder weg.
»Was gibt’s bei dir Neues?« Martha stützt die Arme auf der Theke auf und lächelt Anton zu.
»Bei mir nichts. Aber vielleicht interessiert dich das: Dein Mordopfer war gestern Abend hier.«
»Wie bitte? Mit …« Vor Aufregung verschluckt sie sich und hustet. Sie prustet, wird hochrot und keucht. Anton läuft um die längliche Eichentheke herum und verpasst Martha einige energische Schläge auf den Rücken.
»Arme hoch«, kommandiert er und schlägt wieder auf den Rücken. Martha hustet, niest dreimal und röchelt endlich den kurzen Satz, der
Weitere Kostenlose Bücher